Vorsprechen, die die Welt bedeuten
Vorsprechen, die die Welt bedeuten…
Jährlich machen sich unzählige junge Frauen und Männer auf den Weg durch ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz, um wenige Minuten vor einer Auswahlkommission zu stehen und ihnen zu zeigen, was sie können. Sie alle haben einen Wunsch: sie möchten einen Platz an einer Schauspielschule haben.
Um diesen kämpfen viele Menschen jedes Jahr aufs Neue. Und weil es nicht einfach eine Bewerbung an einer normalen Hochschule oder ein „auf der Straße entdeckt werden“, einfach berühmt werden oder ein Kindertraum, der sehr naiv klingt, ist, möchte ich gerne davon erzählen.
Also vom Erfolg, dem Scheitern, von Tränen und Hoffnung, aber auch von wunderbaren Begegnungen und Erfahrungen.
In Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es 22 deutschsprachige staatliche Schauspielschulen. Darin enthalten sind nicht die unzähligen privaten Schulen.
Die staatlichen Schulen vergeben pro Jahr zwischen 8 und 12 Plätze. Sie alle haben eine Bewerbungszahl von etwa 1200 jungen Erwachsenen in allen Altersstufen zwischen 16-27 Jahren. Danach ist man in der Regel zu alt, um ein Studium an der Schauspielschule zu beginnen.
Schafft man es nun sich zwischen allen Bewerbern durchzusetzen und herauszustechen, erwarten einen Schauspielstudent drei Jahre intensives Training in Sprache, Bewegung, szenischer Arbeit, Gesang und vielen anderen Fächern.
Aber was bewegt einen jungen Menschen dazu Schauspieler zu werden, sich an einer Schauspielschule zu bewerben und sich diesen Kampf aufzubürden?
Dafür habe ich mich mit Dina (21) und Timo (20) getroffen und mich mit ihnen ein bisschen unterhalten. Die beiden haben bereits mehrere Vorsprechen hinter sich und versuchen auch dieses Jahr wieder ihr Glück – mit der Hoffnung darauf, dass sie es dieses Jahr schaffen werden, einen der begehrten Plätze zu erhalten.
Dina, du hast mit 14 Jahren im Jugendclub des Theater Bonn deine ersten Erfahrungen gesammelt. An welchem Punkt hast du gemerkt, dass du jetzt gerne Schauspielerin werden möchtest? Und gibt es denn keinen anderen Beruf, der dich reizt?
Dina: Das war tatsächlich ein ziemlich eindeutiger Tag, an dem ich gemerkt habe, dass es das ist, was ich machen möchte. Es war eine Einzelprobe in meinem ersten Jugendclub. Die Theaterpädagogin, die damals den Jugendclub leitete, ging mit mir den Text für die Rolle durch. Den konnte ich, aber anscheinend war meine Stimme einfach nicht kräftig genug, um über die 2. Reihe hinaus hörbar zu sein. Also musste ich immer und immer wieder von vorne anfangen und jedes Mal unterbrach sie mich, weil sie mich nicht hören konnte, wenn sie in der letzten Reihe saß. Nach dem 8. oder 9. Mal war meine Stimme noch zerbrechlicher als vorher, weil ich so frustriert war, dass trotz meiner Anstrengung nichts passierte. Dann sagte die Theaterpädagogin ich solle sie anschreien. Ich war erst irritiert aber dann habe ich es einfach gemacht – ich habe geschrien und vor lauter Frustration und Erleichterung, und was weiß ich was da noch für Emotionen drin waren, habe ich gleichzeitig geweint und es ist irgendwie alles ausgebrochen. Die Probe haben wir dann mehr oder weniger beendet aber ich hatte das Gefühl, dass das was mit mir gemacht hat, was ich nicht beschreiben kann.
Durch das Schauspiel traue ich mich Dinge zu machen, die ich vorher nie gemacht hätte, ich bin offener geworden und freier mit meinen Gedanken und ich habe keine Angst mehr Fehler zu machen, weil ich gemerkt habe, dass ich daraus nur lernen kann und, weil es nicht schlimm ist, etwas nicht direkt in Perfektion zu beherrschen.
Seitdem war ich jedes Mal gespannt, was ich noch kann und wozu ich noch fähig bin, was ich von mir selbst vielleicht gar nicht so erwarten würde.
Es gibt schon andere Berufe, die mich interessieren, z.B. die Fotografie oder aber auch Maskenbild am Theater und auch beim Film. Natürlich gibt es viel im Schauspiel, was ich lernen muss, aber dafür bin ich bereit und ich will mehr lernen und besser werden. Wohingegen ich das beim Fotografieren nur in einem bestimmten Maß möchte. Ich finde es toll, dass ich die Freiheit habe rum zu probieren, wie ich will und dass ich das fotografieren kann, was ich möchte. Die Möglichkeiten habe ich, wenn ich als Fotografin arbeiten würde, nur noch begrenzt und darauf möchte ich nicht verzichten.
Wer zu einem Vorsprechen geht muss gut vorbereitet sein, man muss meist drei Texte vorbereiten. Dazu kommen noch ein Gedicht und/oder Lied. Wie bereitest du dich auf ein Vorsprechen vor?
Dina: Normalerweise bereite ich alle nötigen Texte vor. Als erstes also auswendig lernen. Ich versuche dann so gut wie möglich zu verstehen und nachzuvollziehen, warum die Figur dieses oder jenes sagt, dann muss ich mich nur ein bisschen an die Sprache des Stückes oder der Figur anpassen und der Rest klappt dann fast wie von selbst. Dann muss ich natürlich wissen, was ich beim Vorsprechen machen will. Manchmal fällt mir sofort ganz viel ein und manchmal stecke ich auch ein bisschen fest, weil ich einfach nicht weiß, was ich machen soll. Dann tendiere ich oft dazu, an einem Punkt zu stehen und alles über die Worte zu transportieren, als über die Worte und den Körper in Kombination. In dem Fall bin ich dann sehr froh, Freunde zu haben, die einen Blick dafür haben, was vielleicht angebracht ist und was ich eher lassen sollte. Aber noch glücklicher bin ich, wenn der ein oder andere Schauspieler mit einem professionellerem Blick darüber schaut und mir Tipps gibt und generell hilfreiche Dinge beibringt oder erzählt.
Timo, auch du hast jetzt das ein oder andere Vorsprechen hinter dir. Reizen euch die Vorsprechen denn? Gibt euch die Aufregung einen Kick? Warum stellt man sich immer wieder vor diese Kommission?
Timo: Um ehrlich zu sein, am Vorsprechen reizt mich nichts. Gäbe es eine Möglichkeit das zu überspringen und direkt zum Studium vorzurücken, ich würde es direkt machen! Vorsprechen sind für mich schlimm, ich bin immer nervös, gestresst es sind zu viele Leute da aber gleichzeitig zu wenige mit denen ich reden kann, mich ablenken kann. Ob ich Vorsprechen mit Links mache? Ganz im Gegenteil, das Warten bevor man selbst dran kommt ist für mich der Horror. Ständig denkt man: Gleich hast du Fünf Minuten, so wenig Zeit um zu zeigen wofür du gearbeitet hast, fünf Minuten in denen sich ein Teil deiner Zukunft entscheidet, also versau das jetzt bloß nicht! Mit diesen Gedanken steigere ich mich immer weiter rein in die Nervosität, bis man sich selbst panisch die Frage stellt: Ist das alles überhaupt das richtige für mich?! Bis man spielt und das Gefühl hat es hinter sich gebracht zu haben und alles gegeben zu haben. Das Gefühl danach ist pure Erleichterung, egal ob man weiter ist oder nicht. Man hat es versucht, man hat sich der, zumindest für mich, sehr schweren Aufgabe gestellt und gezeigt was man kann.
Vorsprechen zu gehen ist für mich die emotional größte Hürde. Wenn ich mir die Frage stelle was ich machen möchte, ob ich es weiter versuchen möchte. Selbstzweifel, Angst vor Prüfungssituationen und die ständige Frage „bin ich überhaupt gut genug oder mache ich mir hier nur was vor?“ lassen mich jedes Mal fast bis zum Ende der Bewerbungsphase warten bis ich mich anmelde. Aber das muss ich in Kauf nehmen, denn dass was am Ende steht und vielleicht auf einen wartet, wenn man es schafft ist für mich zu wichtig und ein zu großes Ziel um sich davon unterkriegen zu lassen.
Dina: Ich selbst empfinde nicht wirklich einen Kick dabei. Es schwebt nur jedes Mal die Hoffnung im Raum, dass man es diesmal vielleicht schaffen könnte und das ist etwas was mich anspornt. Aber mit Leichtigkeit mache ich das mit Sicherheit auch nicht.
Wenn man zu einem Vorsprechen an die Schauspielschule geht, ist immer etwas gleich: vor einem sitzt eine Kommission, die die Eignung prüft. Wie ist es vor dieser zu stehen?
Timo: Die Kommissionen können extrem unterschiedlich sein. Eine gewisse, sogar sehr starke, Nervosität beim Vorsprechen ist sicher immer gegeben. Zumindest ist sie das bei mir. Wie man damit umgeht hängt stark von den Menschen ab die vor einem Sitzen. Zum Beispiel erinnere ich mich an mein allererstes Vorsprechen in München, ich hatte das Glück bei einer Kommission zu Landen die einem das Gefühl vermittelt haben dich wirklich spielen sehen zu wollen und an dir interessiert sind. So etwas macht für mich eine gute Kommission aus, wenn sie dir das Gefühl gibt interessiert an dir zu sein und dir tatsächlich eine Chance geben zu wollen. In Leipzig hatte ich auch dieses Glück. Dann ist man natürlich unglaublich Dankbar und es macht Spaß zu spielen, die Nervosität fällt schnell weg und man wird locker und bei mir kommt dann der Gedanke:“ Dafür hast du dich vorbereitet, zeig Ihnen das du Spaß am Spielen hast!“ Wenn es dann nicht klappt, ist das zwar schade, aber man hat das Gefühl gesehen worden zu sein und eine Chance bekommen zu haben. Diese Kommissionen sind meistens die, welche einem auch Rückmeldung geben warum es geklappt oder nicht geklappt hat und das ist für mich das wichtigste. Wenn mir jemand sagt, wir wollen dich nicht, das nicht begründet, dir nicht sagt warum, dann geht man raus und denkt sich „toll, hier hab ich jetzt wirklich gar nichts mitgenommen. 50Euro hingeblättert, mich vorbereitet, etliche Stunden hergefahren mich grade eben auf der Bühne hingestellt und mich offenbart, fremden Leuten gezeigt wie ich meine Traum verwirklichen möchte und als Gegenleistung bekomme ich ein einfachen „Sie sind nicht weiter““. Solche Kommissionen gibt es auch, die einem das Gefühl geben einfach seine Zeit verschwendet zu haben. Wenn ich eine solche vor mir hatte werde ich danach sauer und traurig zu gleich und empfinde es als anmaßend über die Träume von jungen Menschen so leichtfertig zu entscheiden und nicht mal sagen zu können oder zu wollen wieso. Ich glaube das ist für mich das größte Übel an Schauspielschulen: Es gibt zu viele, zu selbstsichere Menschen, die einem vermitteln: Du kannst eh nichts, guck uns an wir haben es geschafft und jetzt kommst du, wir können dir 30 Sekunden beim Spielen zu schauen und entscheiden das du es nicht drauf hast. Aber auch davon darf man sich nicht unterkriegen lassen was, zumindest mir, oft sehr schwer fällt. Ich stelle mir dann die Frage „Ist es das wert, weiter zu machen obwohl du immer wieder mit solchen Menschen zu tun haben wirst?“ Und für mich war die Antwort, bis jetzt, jedes Mal Ja.
Dina: Es ist jedes Mal anders, an jeder Schule sitzen andere Menschen vor dir. Menschen, die dich nicht kennen und nur ca. 5-7 Minuten einen Eindruck von dir bekommen werden. Manchmal sind es nur zwei Prüfer, manchmal drei, manchmal sitzt ein Student mit am Tisch der Prüfer, manchmal sitzen ganz viele Studenten dahinter und gucken dich ganz genau an und manchmal sitzen sogar die „Mitprüflinge“ im Raum. Ich kann also gar nicht so genau beschreiben, wie es ist, weil es nie dasselbe Gefühl ist.
Aber so grob würde ich sagen, dass es einschüchternd sein kann aber auch Spaß macht. Du wirst von fremden Menschen von oben bis unten begutachtet und sie beurteilen alles was du machst, das ist schon irgendwie beängstigend. Mit der Zeit habe ich mich aber mehr daran gewöhnt, ich versuche einfach, mich nicht irritieren zu lassen und mich auf mich zu konzentrieren.
Wer vorsprechen geht, kennt viele Situationen die schön sind, aber auch eine Menge, die ganz schrecklich sind. Wie ist es wenn andere eine Zusage bekommen haben? Kann man sich für sie freuen? Und was tut man selber, wenn man eine Absage bekommen hat?
Timo: Ja.
Ich würde die Antwort gerne einfach mit diesem einem Wort stehen lassen, weil die Begründung dafür für mich selbstverständlich ist. Trauriger weise kenne ich Menschen, für die ist es nicht so. Ohne Anmaßend seien zu wollen, aber der Beruf des Schauspielers/ der Schauspielerin ist für mich ein Team Beruf. Soll man dann später auf der Bühne jedes Mal angepisst sein, wenn jemand anders eine größere Rolle hat als man selbst oder mehr Stücke spielt? Wenn man es nicht schafft sich für andere zu freuen, anderen den Erfolg zu können oder zu sehen das andere Menschen talentiert sind ist man, meiner Meinung nach in diesem Berufsfeld falsch.
Bei einer Absage frag ich mich zuerst „Warum?“. Wenn die Kommission ihre Entscheidung begründet kann ich, wie ich finde, gut damit umgehen. Ich habe dann was Konkretes an dem ich arbeiten kann. Meistens spüre ich schon direkt nach dem ich gespielt habe ob es gut lief oder nicht. Daher kommt die Absage meistens nicht überraschend, enttäuscht bin ich dann im ersten Moment trotzdem aber bisher hat michnoch keine Absage dahin gebracht, dass ich zu enttäuscht war um weiter zu machen.
Dina: Ich habe ja meistens schon direkt nach dem Vorsprechen ein Gefühl. Entweder „ja, das könnte was werden“ oder aber „nein, das wird eh nichts“. Das heißt ich mache mir gar nicht allzu große Hoffnungen, damit meine Enttäuschung bei einer Absage nicht so groß ist.
Wenn ich das Ergebnis dann sicher weiß, gehe ich im Kopf durch, was ich gemacht habe, was ich ändern sollte, vielleicht auch wo ich wirklich Fehler gemacht habe und auch, inwiefern die Kritik zu dem passt, was ich selbst denke. Ich schreibe mir nach allen meinen Vorsprechen etwas auf, um mich daran erinnern zu können und um mich auf spezielle Dinge zu konzentrieren, die ich verbessern muss.
Gab es denn einen besonders schönen Moment den du bei einem Vorsprechen erlebt hast, der dir bis heute in Erinnerung ist?
Timo: Bei meinem letzten Vorsprechen in München mit einer Mitbewerberin gut verstanden und da unsere beiden Busse erst gegen halb eins Morgens fuhren sind wir dann nach dem Vorsprechen bis dahin zusammen durch München gelaufen und haben uns mit super Gesprächen vor die Schauspielschule und an den Busbahnhof gesetzt. Und auch wenn wir beide keine Runde weiter gekommen sind an dem Tag waren wir trotzdem gut drauf.
Gibt es oder gab es einen Punkt, an dem du gedacht hast, dass möchte ich nicht mehr, ich höre auf, ich gehe nicht mehr vorsprechen?
Timo: Eine gefühlte Grenze, an der ich sagen würde „ich gebe das alles auf“ kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht gibt es sie und ich merke es wenn ich sie erreicht habe, aber momentan möchte ich es immer weiter versuchen, nicht zu Letzt aus dem Grund damit ich mir später nicht denken muss:“ Hätte ich doch nur ein Vorsprechen mehr gemacht, dann hätte es funktionier!“ Natürlich gibt es eine faktische Grenze, viele Schauspielschulen haben eine Altersgrenze. Aber bis ich diese erreicht habe und mir die Chance genommen ist möchte ich immer weiter Vorsprechen gehen, mal mehr Mal weniger viel, aber ganz aufhören es zu versuchen… Diesen Luxus kann und darf man sich, meiner Meinung nach, nicht leisten, wenn man diesen Traum wirklich hat.
Dina: Ja, definitiv. Meine ganz persönliche Grenze ist eigentlich mein Gefühl. Hab ich noch Lust drauf oder hab ich echt keinen Bock mehr? Wenn es irgendwann Letzteres sein sollte, werde ich es lassen. Bisher ist es dazu noch nicht gekommen.
Timo, warum Theater?
Timo: Selber spielen kann ich nur im Theater. Wenn ich mich auf eine Bühne stelle und nichts habe außer mir selbst um das Publikum zu überzeugen, dann ist das für mich wahres Schauspiel.
ich möchte das Publikum direkt ansprechen. Theater ist ein eigener Raum, Schauspieler und Zuschauer befinden sich gemeinsam darin und es kommt auf den Moment an. Man bekommt keine zweite Chance, man muss direkt da sein, die Menschen abholen. Alles, was die Vorsprechen für mich so schwierig machen, liebe ich am Theater.
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