Studieren als Mama – kann das gelingen?
Perspektiven einer jungen Alleinerziehenden zu Studienwahl, Sozialanträgen und Unterstützung durch die Universität
Studierende, die ihre Kinder alleine erziehen, sind in der Öffentlichkeit weitgehend unsichtbar. Dabei haben laut deutschem Studentenwerk rund 6 Prozent der deutschen Studierenden mindestens ein Kind – davon sind 10 Prozent der weiblichen und 7 Prozent der männlichen Elternteile alleinerziehend. Die Zeit, die ihnen zur Verfügung steht, ist mit Uniarbeit, unbezahlter Sorgearbeit, vielleicht Lohnarbeit gefüllt.
Ich frage mich, wie das gelingen kann – studieren und erziehen, lernen und lehren, auf sich achtgeben und auf das Kind. Dafür habe ich mit Helene gesprochen. Sie ist mit 16 schwanger geworden. Wir haben uns damals noch in der Schulzeit kennengelernt. Mittlerweile wohnen wir zusammen. Sie studiert in Halle an der Martin-Luther-Universität, ich in Merseburg und Amon, ihr fast 4 jähriger Sohn hüpft vom Kindergarten zum Spielplatz zur Legokiste auf den Küchentisch.
In der Zeit nach dem Abitur standen wir, wie alle andern auch, vor der Frage, wie es weitergeht. Studieren beginnt nicht mit dem ersten Seminar, es beginnt mit der Entscheidung für ein Studium, mit Überlegungen zu Wohnort, finanzieller Situation, Unterstützung aus dem Elternhaus und persönlichen Karrierechancen. Ein Kind nimmt dabei einen großen Teil dieser Überlegungen ein, oder? Helene erzählt:
„Also ich würde auf jeden Fall sagen, dass mich das sehr stark beeinflusst hat. Es war sehr lange unklar, ob ich überhaupt mein Abitur mache und ich das überhaupt schaffe, ob das überhaupt zeitlich möglich ist oder ob es nicht vielleicht besser ist, eine Ausbildung zu machen, wo man Geld verdient währenddessen. Vor allem hatte ich, nicht das Gefühl diese Freiheit zu haben nach dem Abi, machen zu können was ich will. Also zum Beispiel ein FSJ mit Schichtarbeit wäre ja praktisch unmöglich gewesen, weil einfach niemand hätte das Kind betreuen können. Aber auch ein Auslandsjahr, also ein Freiwilligendienst im Ausland, wäre nicht möglich gewesen, weil ich eine Kinderbetreuung brauche. Insofern hat es das schon sehr stark beeinflusst und hat auch meine Studienwahl beeinflusst, weil ich dann einen pragmatischeren Ansatz hatte.“
Ich erinnere mich an zurückliegende Gespräche mit Helene, in denen sie mir erzählt hat, wie sich in ihrem Bekanntenkreis viele Leute für ein geisteswissenschaftliches Studium entscheiden. Für Helene wäre Soziologie oder Philosophie damals nie infrage gekommen – nicht aus mangelndem Interesse, sondern weil es keine sichere Perspektive auf ein festes Einkommen liefert. Eine stabile Zukunftsperspektive ist, wenn man sich nicht nur um sich selber, sondern eben auch um sein Kind sorgt, aber unabdingbar.
Helene entscheidet sich für ein Studium der interkulturellen Europastudien und Wirtschaft. Wenn ich an meinen Aufsätzen schreibe, lernt sie Italienisch und Französisch und bereitet sich auf Prüfungen vor. Die ersten Semester sind so schon vergangen. Ich frage sie, wie es ihr gelungen ist, ihr Studium und Amon zu vereinen.
Sie meint, auf die Kompromisse komme es an. In Regelstudienzeit lässt sich als Alleinerziehende ein Studium wohl kaum beenden. Aber wenn man akzeptiert, dass man eben nicht die gleichen Ressourcen hat, wie die anderen und dann die Zeit, die man sich einplant, effektiv nutzt, kommt man auch zum Ziel.
Um die finanzielle staatliche Unterstützung, erzählt sie mir, müsse man trotzdem ganz schön kämpfen. Jeder Studierende kennt die großen Mühen, die es braucht um Bafög zu beantragen, oder Wohngeld. Bei einem Kind kommen noch mehr solcher Anträge hinzu. Als Elternteil kannst du Kindergeld beantragen, dir die Kindertagesstätte finanzieren lassen, wenn du Glück hast sogar einige Freizeitaktivitäten von deinem Kind. Zudem hast du eventuell Anspruch auf Kinderzuschlag oder Wohngeld für das Kind.
Allerdings kosten die Anträge und Anrufe, die mit der Beantragung dieser Sozialhilfen einhergehen einen enormen zeitlichen Aufwand – in einer Situation in der Zeit Mangelware ist.
Auch die Martin-Luther-Universität stellt einige Unterstützungsmöglichkeiten für Studierende mit Kind zur Verfügung. So findet sich ein Spiel-, Still-, Ruhe- und Wickelraum am Steintorcampus oder eine ‚Kinderbetreuung für Kurz- und Randzeiten’. Helene nutzt wenige der Angebote ihrer Universität. Eine Prüfung hätte sie einmal verschoben und den gratis Kinderteller in der Mensa in Anspruch genommen. Ich frage sie, was ihr an Unterstützung noch fehlt. Sie erklärt mir, dass für sie die Möglichkeiten, die die Uni bereitstellt, wenig effektiv sind und kaum reichen, um ihr ihre Lebenssituation sinnvoll zu erleichtern. Sie sagt:
„Ich denke eine Unterstützung wäre vor allem im finanziellen Bereich sehr sinnvoll, dass die ganzen Sozialhilfen nicht so aufgesplittet sind und man hundert verschiedene Anträge stellen muss, das würde mir sehr helfen. Aber ich denke, dass zum Beispiel auch eine Anpassung der Regelstudienzeit für Studierende mit Kind sinnvoll ist, einfach damit man sich selber weniger Druck macht mit der Semesterzahl. Ich finde generell, dass an unserer Universität noch einiges an Infrastruktur fehlt. Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass Vorlesungen nach 15:00 Uhr aufgezeichnet werden oder dass man einen konkreten Nachteilsausgleich hat, wenn man ein Kind hat. Das sind Sachen, wo ich meinte, die Maßnahmen von der Uni sind oft nicht so sinnvoll. Natürlich ist ein Kinderspielraum irgendwo schön, aber auch zum Beispiel, dass ich als Alleinerziehende, oder als Elternteil generell, nicht priorisiert werde, bei der Einteilung von Übungsgruppen zum Beispiel. Eine Übungsgruppe um 16:00 Uhr – das ist für mich nicht machbar.“
Ich frage Sie, wie sie trotz der Hindernisse ihre Chancen auf ein erfolgreiches Studium einschätzt. Helene meint, bei diesem Thema käme es darauf an, was man unter ‚erfolgreich‘ verstehe.
„Ich denke, dass ich schon auch eine gute Chance habe meinen Abschluss zu machen, hoffentlich (lacht), aber das natürlich, wenn man unter erfolgreich studieren ‚Studieren mit einem guten Schnitt in Regelstudienzeit’ versteht, dann ist da die Wahrscheinlichkeit, dass ich das machen werden wesentlich geringer, weil die Krankheit von deinem Kind, wenn es mal ein, zwei Wochen krank ist, dir das ganze Semester zerhauen kann und du dann einfach zwei, drei Module weniger schaffst und du einfach viel stärker äußerlichen Umständen ausgesetzt bist, als, wenn du einfach studierst und nur auf dich selber eingestellt bist. Und deswegen würde ich schon sagen, dass man da ganz andere Energie reinstecken muss, wenn man da erfolgreich sein will. Ich denke den Abschluss zu erreichen, das kriegt man hin, die Frage ist so ein bisschen wie, und was bleibt dabei vielleicht auf der Strecke liegen.“
Wenn Helene mir von ihrem Studium erzählt, dann erzählt sie mir natürlich von kleinen und großen Hindernissen und dem Mehraufwand den es benötigt, wenn man sich, vor allem alleinerziehend, um sein Kind sorgt. Wenn Helene mir von ihrem Studium erzählt, ist sie manchmal resigniert, manchmal überlegend, manchmal begeistert. Mit Kind studieren heißt nicht nur Verzicht – es ist auch ein kleiner Gewinn, der Gewinn einer Perspektive als Mutter. Helene sagt:
„Ich hatte auf jeden Fall auch schöne Erfahrungen mit Amon oder durch Amon in meinem Studium, weil man ganz anders mit Leuten ins Gespräch kommt, vielleicht auch mit einer anderen Mentalität ans Studieren rangeht und weil auch der Austausch mit anderen Eltern immer wieder Spaß macht. Ich denke auch, dass meine Erfahrungen als Mutter ein Stück weit eine Rolle dabei spielen, wie ich studiere, einfach weil du ganz anders mit Stress umgehen kannst oder mit Drucksituationen und du dein Studium in eine ganz andere Relation setzt, wenn du noch einen zweiten wichtigen obligatorischen Lebensmittelpunkt und -schwerpunkt hast und ich würde sagen, dass das so Sachen sind, wo mir ein gewisser Pragmatismus immer wieder in meinem Studium hilft.“
Helene wird noch einige Semester an der MLU in Halle studieren. Vielleicht bewirbt sie sich für ein Auslandssemester. Amon wird in dieser Zeit anfangen zu lesen, zu schreiben, die ersten Rechnungen zu machen, alleine nach Hause zu laufen und Freund*innen mitzubringen. Wahrscheinlich begleite ich die beiden noch für eine Weile. An deutschen Universitäten braucht es weiterhin das Gehör für Perspektiven wie Helenes – um den Alltag und das Lernen für Alleinerziehende zu erleichtern.
Falls du mehr informationen zu Unterstützungsmöglichkeiten für Studierende Eltern lesen möchtest, schau in unseren zweiten Artikel:“Studieren mit Kind, wer hilft mir?“
Ein Text von Jule Floßmann und Rosa Große
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