Kulturelle Aneignung
Blackfishing, Hinduismus & ein Tanzstil aus Harlem
Kulturelle Aneignung ist ein Thema welches sich immer mehr in unseren Alltag schleicht und das zu Recht! In unserem ersten Beitrag haben wir den Begriff erklärt und versucht die Frage zu beantworten: „Wo fängt sie an und wo hört sie auf?“ In diesem Beitrag gucken wir auf aktuelle Debatten, welche im Zusammenhang mit kultureller Aneignung stehen.
Bei dem Begriff „kulturelle Aneignung“ kommen die meisten erst mal ins schlucken. Berichtigt möchte niemand werden und schon gar nicht als diskriminierend oder respektlos bezeichnet. Der Unterschied zwischen Aneignung und Wertschätzung ist ein schmaler Grad und somit ein komplexes Thema. Eine umstrittene Debatte, welche einem mit zuerst in den Kopf kommt, wenn es um kulturelle Aneignung geht, ist das Tragen von Dreadlocks bei Weißen. Der Begriff „dread“ ist englisch und bedeutet Grauen oder Furcht und wurde der Frisur von den Europäern verliehen. Viele People of Color sind gegen das tragen dieser Frisur durch Europäer. Das kommt vor allem daher, das weiße Menschen mit damit sich einer bestimmten Szene zugehörig fühlen wollen, jedoch nicht mit den Konsequenzen leben müssen wie Schwarze.
Hier seht ihr einen kurzen Ausschnitt zu dem Thema aus der Folge „Blackfishing: Bist du Schwarz oder tust du nur so?“ vom KARAKAYA TALK:
https://www.youtube.com/watch?v=-dw334F6ngA&t=1367s
Das tragen von Frisuren die aus dem afrikanischen Raum kommen, aber auch zum Beispiel das Auftragen von zu viel Selbstbräuner fällt in die Kategorie des sogenannten „Blackfishings“. Unter Blackfishing versteht man (zu meist) weiße KünstlerInnen aus der Popkultur, welche sich nicht-weiße Attribute aneignen und sich mittels äußerer Merkmale, Tanzstilen und bestimmter Online Präsenz als Schwarze inszenieren. Frauen schminken sich zum Beispiel in dunkleren Hauttönen, welches quasi das moderne Pardon zum Blackfacing ist. Oft werden im Zusammenhang mit Blackfishing die KünstlerInnen Ariana Grande und Shirin David genannt. Aber auch Musik-Ikonen wie Beyoncé, Katy Perry, Taylor Swift und Adele haben sich durch ihre Online-Perfomances unbeliebt gemacht. Sängerin Adele postete sich im Jamaika Bikini und Bantu Knots auf Instagram, welches als Tribut für das ausfallende Karneval in Groß Britannien gedacht war. Genau dieser Gedanke sorgte für Aufsehen.
Auch Beyoncè und die Band Coldplay regten mit ihrem Musikvideo zu „Hymn For The Weekend“ Diskussionen an. Coldplay Frontmann Chris Martin läuft darin durch die Stadt Mumbai, an seiner Kleidung die Farben vom bekannten „Holi Festival“ und umgeben von hinduistischen, göttlichen Symbolen. Beyoncé tritt als Bollywood-Ikone hervor. Auch wenn dieses Video als Hommage an die indische Kultur gedacht war, so haben sich viele InderInnen mit Klischees konfrontiert gefühlt.
Diese Klischees treten natürlich auch im hinduistischen Lebensweg des Yogas auf. Dessen Philosophie sieht den Menschen als Reisender im Wagen des materiellen Körpers. Der Wagen ist der Körper, der Kutscher der Verstand, die fünf Pferde die fünf Sinnesorgane, der Fahrgast die Seele, und das Geschirr heißt im Indischen „Yoga“. Unter Yoga wird somit nicht nur die körperlichen Übungen verstanden, sondern eine Lebensphilosophie. Das westliche Yoga verkörpert jedoch nur einige Aspekte des herkömmlichen Yogas. Die Übungen, die die meisten im Westen praktizieren, sind die sogenannten „Asanas“, welche nur einen Teil der gesamten körperlichen Übungen darstellen. Auch das bekannte „Hot Yoga“ ist eine westliche Erfindung. Schwitzen ist bei den Übungen nicht das Ziel. Sie dienen als Vorbereitung für die darauffolgende Meditation.
Ein paar tausend Kilometer östlich von Indien liegt der Stadtteil Harlem / New York. In den 70er Jahren entstand dort, in der Ballroom-Szene der schwarzen und lateinamerikanischen LGTBQ+ Community, die Performance-Kunst des „Voguing“. Im Rahmen der sogenannten Bälle wurde sich durch extravagante Posen ausgedrückt, welche teilweise von den Covern der Zeitschrift Vogue kopiert, aber auch von ägyptischen Hieroglyphen und gymnastischen Bewegungen beeinflusst wurde. Diese Bälle waren ein sicherer Ort für die damalige LGTBQ+ Community und somit von mentaler Bedeutung dieser Szene. Es sind Geschichten von Unterdrückung und Gewalt gegen People of Color und queere Menschen. Beim Voguing wurden Rivalitäten auf eine friedliche und künstlerische Art ausgetragen. Transidente, homosexuelle und queere TeilnehmerInnen konkurrierten um Trophäen und den Ruf ihrer „Hausfamilie“, welche meist nach berühmten Modehäusern benannt wurden. Die Hausfamilien wurden oft zu den einzigen Familien, für Menschen welche von der Gesellschaft ausgegrenzt wurden. Die Serie „Pose“ von Ryan Murphy zeigt durch fiktive Charaktere die wahre Geschichte des Voguings und schafft somit ein immer mehr aufkommendes Interesse an dieser Kultur. Mittlerweile werden in fast allen Großstädten Deutschlands Voguing-Kurse angeboten, teilweise getrennt nach People of Color und Weißen.
Wenn man sich die aktuellen Nachrichten zu kultureller Aneignung durchliest, wird einem schnell bewusst, das dieses Thema wesentlich umfangreicher ist als die von uns genannten Beispiele. Beim lesen stellt man sich die Frage: „Wie kann man dies vermeiden oder sich angemessen verhalten?“ Die Frage ist am besten denen zu stellen, welche aus den betroffenen Kulturen stammen. Dennoch ist Respekt, Bildung und Raum hierbei sehr wichtig. Raum zu geben um ihre Geschichte zu teilen, Ihnen dafür Respekt zeigen und sie zu unterstützen. Sich Studios (Beispiel Yoga / Vogueing) zu suchen welche authentisch sind und wo das Geld an jemanden geht, der aus dieser Kultur stammt.
Bei weiterem Interesse, empfehlen wir euch die Beiträge des KARAKAYA TALK auf YouTube und den schon im letzten Beitrag genannten Kurzfilm „Bag of Worms“ von Grace Rowe.
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