Küche für alle – ohne alle?
Leipziger Volksküchen rufen zur Unterstützung auf
Co-Autor: Lukas Böhlk
Corona wütet gerade überall: seit über einem Jahr können wir keine Clubs besuchen, keine kulturellen Aktivitäten genießen oder uns in einer größeren Gruppe treffen. Das belastet. Nicht nur uns einzelne, sondern vor allem auch die zahlreichen Locations und Projekte, denen damit ein Großteil ihrer Einnahmen verloren geht. Wir haben das Gespräch mit mehreren Leipziger Voküs gesucht, um über ihre Situation zu sprechen und uns ein Bild zu machen. Küfas (Küchen für alle) oder VoKüs (Volksküchen) sind übrigens Bezeichnungen für Projekte, bei denen Leute ehrenamtlich andere bekochen können und es keinen fixen Preis bzw. ein offizielles Angebot für das Essen gibt. Jede*r zahlt, was sie oder er kann und alle tragen das Projekt durch ihre Spenden.
Wir haben mehrere Akteure schriftlich befragt und ein Interview vor Ort geführt. Damit geben wir euch einen kleinen Einblick in die aktuelle Situation der Küfas in Leipzig. Aufgrund der Tatsache, dass Küfas sich rechtlich in einer Grauzone befinden können, sind nicht alle Akteure namentlich erwähnt.

Wir haben ein Interview mit Sacharja geführt, der in einem altbekannten Projekt im Osten Leipzigs seit einigen Jahren mitwirkt. Der Name des Projektes soll dabei nicht genannt werden, da es die Sicherheit seines Fortbestandes gefährden könnte. Es ging uns beim diesem kurzen Interview auch eher darum ein Verständnis für die Situation eben jener Projekte aufzubauen, die im Moment Schwierigkeiten haben ihre Position trotz der Pandemie zu halten.
Sacharja, bitte stell uns euer Projekt vor und erzähl uns ein wenig von der Arbeit die ihr im Leipziger Osten verrichtet.
„Das ist ein ziemlich altes Projekt im Viertel, das schon vor neun Jahren gegründet wurde, da sah das Viertel schon ziemlich anders aus, soweit ich weiß. Also schon ziemlich verlassen und leer. Also kurz davor, das ist jetzt neun Jahre her, 2012 muss das gewesen sein, wurde das Haus für etwa 50000 Euro gekauft. Ungefähr zu dieser Zeit oder ein bisschen später wurde auch die Wurzner 2 gekauft, das Projekt in Schönerhausen vielleicht noch ein bisschen später. Es war auf jeden Fall der „Anfang“ vom Viertel. Damals war das schon irgendwie halbwegs gewerblich gedacht, also am Anfang, und dann haben die Gründer nach ein paar Jahren gemerkt, dass das nicht so richtig geht. Ich glaube das Projekt läuft so wie es gerade ist vielleicht schon seit fünf bis sechs Jahren. Vor fünf Jahren wurde das Projekt also von den Originalgründern an ein neues Team weitergegeben und dieses Kollektiv hat das danach weiterbetrieben. Die Leute sind gekommen und gegangen. Ich bin vor ungefähr zwei Jahren in das Team gekommen und da bin ich einfach beigetreten und habe angefangen mitzumachen. Also die Idee war immer die eines offenen Wohnzimmers, also eines freien Raumes, in dem alle willkommen sind, wo es auch Essen und Getränke gibt, teilweise Musik, Bücher und Kultur und die Leute treffen sich einfach. Also das Projekt ist auch als Wohnzimmer gestaltet und soll auch das Gefühl eines gemütlichen Zuhauses vermitteln. Konkret heißt das schon, dass es eine Vokü ist, damit es Essen gibt. Es wurde also einige Male in der Woche geöffnet und es gab immer ein Team das gekocht bzw. Getränke besorgt hat. Und außerdem gab es Konzerte, also in den Zeiten wo dreimal in der Woche geöffnet war gab es an einem von diesen drei Tagen ein Konzert. Und die Arbeit lief seit diesen drei bis vier Jahren ehrenamtlich und das eingenommene Geld war nur zum Bezahlen der Material- und Mietkosten gedacht. Das andere wichtige, für mich auch politische, Standbein des Projektes, ist die Spendenbasis. Also es gab nie eine Preisliste irgendeiner Art, vielleicht zwischendurch mal eine Art Spendenempfehlung, aber im Grunde genommen waren es immer Spenden im eigentlichen Sinne. Das bedeutet, dass es eine Schüssel gibt, die Leute schmeißen Geld rein, weil sie den Ort schätzen und das Geld muss reichen, um unsere Kosten zu decken. Oft sind Leute gekommen, die auch mal nichts zahlen konnten, das wurde dann von allen anderen solidarisch mitgetragen und sie konnten trotzdem etwas essen. Das hat mich damals auf jeden Fall auch zu diesem Projekt gezogen, denn unser Projekt war fast das einzige das komplett ohne irgendwelche Preisangaben funktioniert hat. Ich denke die Leute, die das über die Jahre gemacht haben, haben das auch verinnerlicht. Also wenn die Frage aufkam: „Wie viel soll ich ungefähr bezahlen?“, kam immer die ungefähre Antwort von uns: „Das musst du selbst wissen. Schließlich ist es eine Spende“.
Organisatorisch gesehen gab es eigentlich immer feste Teams aber nach einigen Problemen mit dem Haus und der Lage haben wir uns entschieden unser Modell etwas anzupassen. Es sollte etwas flexibler werden, mit einer größeren Basis von Leuten, die mitmachen. Früher gab es auch Stammgäste die mal mitgeholfen und Schichten übernommen haben aber das Team war damals eher klein. Heute bleibt die Idee des Kernteams bestehen, damit es immer jemanden gibt der weiß, wie alles geht und wie man das Geld verwaltet. Es gibt nur um dieses Kernteam herum viel mehr freiwillige Helfer, die unregelmäßig Verantwortungen übernehmen. Was das Geld angeht gab es gute und schlechte Zeiten. Mir wurde erzählt, dass früher oftmals eher mehr eingenommen wurde und am Ende des Monats oftmals etwas für Feste und Veranstaltungen übriggeblieben ist. Zu meiner Zeit war es eher meistens etwas knapp und wir mussten ein oder zwei mal eine Soli-Party veranstalten weil das Geld nicht gereicht hat. Aber irgendwie haben wir das schon immer auf die Reihe gekriegt, die Miete, Kohle und das Essen von den Spenden zu bezahlen.Wir hatten auch ein paar Probleme mit Diebstahl in diesen Zeiten, aber für mich ist das auch immer ein Experiment: Kann man diese ideale Gesellschaft, die nicht kapitalistisch ist, in einem Projekt realisieren? Also im Gegensatz zum Kapitalismus, in dem es immer um den Handel geht, wird es einfach offen gemacht. Die Leute machen einfach und die Besucher geben etwas, damit es erhalten bleibt. Es ist also nicht völlig frei von dem Geldkonzept, wir brauchen also Geld zur Kommunikation und dem Austausch mit der Außenwelt, aber innerhalb des Projektes ist unser Dialog davon befreit. Die Spendenschüssel wurde zwar ein paarmal geklaut, es lagen bis dahin also manchmal fünfzig bis einhundert Euro einfach auf dem Tresen, aber dann haben wir darauf geachtet, dass die Scheine immer eingesammelt werden und nicht zu viel Geld offen herumliegt.
In dem Austausch mit der Umwelt besteht natürlich immer eine Gefahr für das Projekt, da es in einer Privatwohnung realisiert wird. Der damalige Eigentümer hat das zwar irgendwie zugelassen und wusste, dass der Laden funktioniert, aber dazu hatte das Projekt auch nie ein wirklich legales Wesen. Es gibt quasi keinen offiziellen Verein, wir sind einfach nur eine handvoll Leute, die miteinander kochen weil sie Bock darauf haben. Durch den Verkauf des Hauses gab es auch immer wieder Eigentümer die vielleicht für das Projekt problematisch sein könnten. Es passierte das, was überall im Leipziger Osten unter der Problematik der Gentrifizierung passiert ist: Die Mieten werden erhöht und nach und nach werden die alten Häuser saniert, obwohl es immer noch Leerstand gibt.“
Wie hat sich eure Situation in der Pandemie verändert?
„Also wir hatten anfänglich drei Monate lang zu und als es im Sommer die Lockerungen gab hatten wir mal für drei bis vier Monate geöffnet. Danach mussten wir dann wieder bis heute schließen. Wir passen uns mehr oder weniger an die Regelungen für Kneipen und Restaurants an. Wie gesagt, das ist kein offizieller Ort und deswegen gibt es keinen direkten gesetzlichen Maßstab, aber das beschreibt vielleicht, mehr oder weniger, wie wir vorgehen. In den Zeiten in denen wir zwischendurch geöffnet haben, haben wir schon versucht die Leute die mit dem Essen zu tun hatten dazu anzuhalten Masken zu tragen und sich regelmäßig die Hände zu desinfizieren, aber bei den Gästen war das eher freier. Wir haben aber versucht die Aktivität in dieser Zeit auf unseren Gartenbereich zu beschränken.
Die Pandemie hat uns natürlich vor allem finanziell getroffen. Wir haben zwar Spenden vom VAK Kollektiv und anderen bekommen. Der Ort hier ist ja etwas unter dem Radar und das gewohnte Konzept hat anfänglich auch funktioniert.
Jetzt gerade sind wir wieder in Schwierigkeiten geraten, der Sommer war eigentlich ganz gut, aber das Geld geht uns momentan wieder aus. Wir bleiben aber voller Hoffnung, dass es trotzdem weitergeht. Wir überlegen, wenn das wieder möglich sein sollte, Kleinveranstaltungen zu planen. Ein anderer Versuch, um Spenden zu bekommen, waren die zwei Livestreams die wir veranstaltet haben. Ganz am Anfang der Pandemie hat jemand der mit dem Projekt verknüpft ist einen Livestream gemacht. Ein Teil der Spenden lief dann an uns. Zwischendrin haben wir auch versucht den Raum an Leute für andere Zwecke zu geben. Es gab verschiedene Musikaufnahmen und verschiedene Künstler haben bei uns etwas aufgenommen und dann an das Projekt gespendet. Die Hauptquelle unserer Einnahmen waren aber immer noch die Spenden unserer Gäste.
Ich glaube, dass die Pandemie die Awareness um das finanzielle Thema überspitzt. Früher haben die Gäste einfach nur für die Sache gespendet, aber die meisten Gäste haben ja auch für das Essen gespendet. Ab und zu hat jemand vielleicht am Ende der Abende einfach so etwas in die Klingelkasse reingeworfen. Jetzt hingegen war unsere Bitte quasi einfach für das Projekt zu spenden, ohne direkt etwas dafür zu bekommen. Alle waren anfänglich etwas bewusster, also wir waren ja nicht das einzige Projekt, das nach Spenden gefragt hat. Das Bewusstsein Projekt zu unterstützen war am Anfang der Pandemie größer als sonst. Jetzt müssen wir immer wieder nach Spenden fragen, da das Ende der Maßnahmen nicht in Sicht ist und das ist eine schwierige Position. Wir haben quasi am Anfang gesagt, dass wir nach einigen Monaten wieder aufmachen können und im Moment wird es langsam schwierig unsere Spendenanfragen zu „rechtfertigen“. Aber es bleibt uns ja nichts anderes übrig.“
Nehmen wir mal an, dass sich die Lage 2021 nicht wirklich verbessert. Habt ihr Ideen für Konzepte die innerhalb der Restriktionen realisiert werden könnten?
„In erster Reihe hoffen wir schon, dass die ganzen Maßnahmen mal wieder gelockert werden, damit wir weitermachen können. Dann werden wir natürlich gucken müssen wer noch alles mit dabei ist. Wir hatten auch mal unabhängig von Corona eine Pause gemacht und damals haben wir auch einige Leute „verloren“ und das könnte jetzt wieder der Fall sein. Aber aus meiner Sicht sieht das alles recht hoffnungsvoll aus. Es gibt immer noch die stressige Haussituation aber das wäre ja dann nichts neues.Wenn das alles nicht möglich wäre gab es die Überlegung kleinere semiprivate Runden nach dem Lockdown zu ermöglichen und im Sommer natürlich wieder unseren Außenbereich zu nutzen. Das wäre natürlich dann durch die Jahreszeit und das Wetter bedingt.
Andererseits hatten wir auch die Idee Essen to go anzubieten und wir hatten uns dann dagegen entschieden. Schließlich sind wir ja kein Restaurant, sondern auch ein sozialer Treffpunkt und eine Community. Wenn man nur das Essen da hat und die andere Teile bzw. die Gemütlichkeit unseres „Wohnzimmers“ fehlen dann erfüllt das nicht ganz den Zweck den wir uns eigentlich erhoffen. Ein Kompromiss wäre natürlich eine Art von Essensausgabe im Park.“

Andere Projekte in Leipzig
Nachdem wir mit Sacharja über sein Projekt im Osten gesprochen haben, wollten wir auch noch andere Küfa-Projekte in Leipzig vorstellen:
Kopfsalat: Den Kopfsalat e.V. gibt es bereits ca. 5 Jahre am Stannebeinplatz. Alle dort sind freiwillig aktiv und das Projekt finanziert sich nur über Spenden (welche normalerweise durch Getränke oder Küfas generiert werden, wobei die Spenden meistens an externe Soli-Projekte gehen, wie z.B. Anwaltskosten von Menschen, Seawatch usw.)
Wenn keine Pandemie ist, gibt es jeden Dienstag Küfa, regelmäßige Konzerte, Veranstaltungen und Workshops oder auch einfach mal Bar-Abende. Wenn der Raum nicht dafür genutzt wird, proben dort Bands oder andere politische Projekte plenieren.
Während Corona wurden zwei große Spendenaktionen organisiert, womit die momentane Miete gezahlt werden kann. Zusätzlich erhält der Kopfsalat finanzielle Unterstützung von vak Leipzig. Der Vermieter hat sich außerdem einverstanden erklärt, für die Zeit, in der kein Betrieb stattfindet, eine geringere Miete zu nehmen daher hat es bisher finanziell funktioniert, dennoch freut sich der Verein über jede mögliche Unterstützung, um das auch so beibehalten zu können. Unter kopfsalat-gaesteservice@gmail.com könnt ihr via PayPal Geld spenden, damit die Küfa zu gegebener Zeit wieder öffnen und weitermachen kann!
Wagenplatz: Eine Küfa auf einem Wagenplatz findet seit über 10 Jahren ein mal die Woche statt. Dort kann eigentlich jede Person, die Lust hat, am Küfatag kochen. Feste Kochcrews gibt es nicht. Das Geld für die Lebensmittel wird aus einer Vokükasse „vorgeschossen“. Zum Essen kommen überwiegend Leute aus der „Szene“ um den Wagenplatz herum. Das Essen wird gegen Spende ohne Spendenempfehlung (um auch Leuten ohne Geld die Möglichkeit auf ein warmes Essen nicht zu verwehren) abgegeben. Seit Corona gibt es nur noch platzinterne Kochaktionen. Der Fortbestand der Küfa für die Zeit nach Corona ist jedoch nicht gefährdet, da die Küfa keine Miete zahlen oder andere laufende Kosten decken muss. Die Umsätze aus der Küfa nach Abzug der Ausgaben für Lebensmittel und Equipment werden seit Anfang an sowieso direkt an unterschiedlichste Organisationen gespendet. Hilfe wird nach Corona am ehesten durch Leute benötigt, die Bock haben dort wieder regelmäßig zu kochen.
Kneipe im Leipziger Westen: Diese Küfa findet normalerweise 2x die Woche in einer Kneipe statt. Es gibt feste (aber dennoch günstige) Preise für das Essen und auch halbwegs feste Bar- und Kochcrews. Die Lebensmittel werden aus der Kneipenkasse „vorgeschossen“ und die „Gewinne“ aus dem Verkauf des Essens und der Getränke für Miete-, Neben- und Unterhaltskosten verwendet. Alles, was dann noch übrig bleibt, wird an Organisationen, die sich für Anti-Rassismusarbeit, Anti-Sexismusarbeit und HIV-Prävention einsetzen, gespendet. Wärend Corona wurde anfangs versucht die Ausfälle der Einnahmen durch unregelmäßige Straßenverkäufe abzufedern. Die jetzige finanzielle Lage ist gerade nicht bekannt, jedoch gilt hier wohl, was überall in den Projekten gilt: Sobald wieder möglich, zur Küfa oder anderen Veranstaltungen gehen und unterstützen, wo es nur möglich ist!
Eine Bitte zum Schluss
Die Lage der Küfas ist aufgrund dessen, das sie unter sehr unterschiedlichen Gegebenheiten organisiert und strukturiert sind, auch sehr verschieden. Manche Projekte bangen um ihr Fortbestehen und müssen regelmäßig um Spenden bitten während andere auf regelmäßige Einnahmen in dem Umfang nicht direkt angewiesen sind. Was jedoch klar wird, ist, welche Vielfalt verloren gehen wird, wenn diese Projekte nicht weiter unterstützt und so erhalten werden. Um vieles nach Corona auch weiterhin noch, oder endlich wieder, wahrnehmen zu können, ist es notwendig, sich bewusst zu machen, dass Solidarität in verschiedenerlei Hinsicht in der aktuellen Lage wichtig ist. Es ist nicht für die Projekte von enormer Wichtigkeit, es bildet die Basis für ein diverses Leipzig, auch nach der Pandemie. Am Anfang der Krise war zu Spenden noch selbstverständlich, doch im Moment wird finanzielle Unterstützung wichtiger denn je. Eine gute Möglichkeit, Leipzigs Szene zu unterstützen ist eine Spende an das VAK Kollektiv. Das VAK bildet einen Zusammenschluss aus zahllosen Initiativen und Projekten die sich gegenseitig unterstützen. Einen Link findet ihr im Anschluss.
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