„Ich pass auf dich auf.“
„Emily, wohin sollen wir gehen?“, war der erste Satz, den Noah seit Tagen zu mir sagte. Ich wusste es nicht. Ich wusste keinen Ort, wo noch Leben auf uns wartete und nicht der Tod umher schlich.

Emily. © Fynn Latif Bode
Wahrscheinlich gab es so einen Ort gar nicht mehr. Es gab nur noch uns beide. Was sollten wir tun? Wie könnten wir alleine in dieser Welt bestehen? Ich dachte an die letzten Monate, an die Zeit seit ich auf Noah Acht gab, sie beschütze, am Leben hielt.
Noah gab sich selbst ihren Namen, den auch der Mann mit dem großen Schiff trug. Sie kannte die Geschichte aus einem Buch und begriff, dass es darin ums Überleben ging. Ihr Leben fing an dem Tage an, als Rick sie allein in einem halb herunter gebrannten Haus fand. Sie trug eine große Kopfverletzung und wusste nicht mehr über sich, als die Sachen, die sie am Leibe trug. Sie konnte nicht älter sein als 11, aber sie wusste, sie musste überleben, wie auch der Noah mit dem großen Schiff. Seitdem zog sie mit Rick umher, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, sie zu beschützen. Er war alles was sie hatte.
Doch Rick war nicht mehr da. Er starb bei der großen Schlacht am Funkturm vor einigen Monaten. Also nahm ich sie auf, kümmerte mich um sie, beschützte sie. Zuerst war es wie ein Schock. Sie war innerlich leer, redete nicht, tat nichts. Noah war einfach… weg. Und dann, von dem einen auf den anderen Tag, war sie plötzlich wieder da. Sprühte erneut voller Leben und Tatendrang. Da wusste ich es: Ihre Amnesie hatte zugeschlagen. Sie hatte es verdrängt, vergessen. Und jetzt hoffte sie auf ein Wiedersehen.
Ich hatte die Verantwortung.
Wie sollte ich ihr sagen, dass es dieses Wiedersehen nicht geben wird? Dass sie aufhören muss, nach ihm zu fragen, Botschaften für ihn zu hinterlassen, auf ihn zu hoffen? Aber ich spielte erst mal ihr Spiel mit. Versuchte sie abzulenken. Und auf dieses Leben vorzubereiten.
Die Männer der Bundeswehr brachten ihr das Schießen bei. Ich wollte alles dafür geben, sie selbst zu beschützen, aber wie lange konnte ich das tun? Sie musste lernen, alleine auf sich aufzupassen, vorsichtiger zu sein und vor allem, sich selber verteidigen zu können. Ich schenkte ihr eine kleine Pistole.
„Nur für den Notfall“, sagte ich ihr.
Auch die Arbeit auf der Medic-Station gab ihr viel Kraft. Auch wenn ich das nicht unbedingt gut hieß, dass sie so viel Schmerz, Verletzungen, Leid und letztendlich auch den Tod jeden Tag sah, war es für sie wichtig zu helfen wo sie nur konnte. Also ließ ich mich auch ausbilden und unterstützte die Station, statt an der vordersten Front zu kämpfen. Ich wollte nur in ihrer Nähe sein und auf sie Acht geben.
Unter Freudentränen traf sie auch ihre Freundin Lina wieder. Lina war ein Mädchen ihres Alters, die jedoch ihren Unterschlupf ein wenig entfernt hatte. Ihre Gruppe kam zu unserer Basis um ein wenig zu handeln und so war das Wiedersehen sehr schön und emotional. Mit dem Versprechen sich bald wiederzusehen, mussten sich die beiden aber auch schnell wieder trennen. Und so war in dieser grausamen, tristen und von Tod umgebenen Welt doch ein Hoffnungsschimmer zu sehen. Denn Noah, dieses kleine, süße Mädchen, konnte trotz allem so viel Freude und Liebe tragen und geben. Aber die gute Stimmung hielt nicht lange an.
Die letzten Tage waren so ruhig verlaufen, dass ich die Regeln für Noah ein wenig lockerte. Also schlossen wir uns einem Expeditionstrupp in der Nacht an, obwohl ich mit ihr sonst nie im Dunkeln rausging. Da aber kein anderer Medic gerade verfügbar war und es nur ein kurzer Marsch werden sollte, gab ich nach. Das war ein Fehler.
Mit dieser Entscheidung hätte ich uns beinahe umgebracht.
Wir gingen mit ungefähr 10 weiteren Männern aus unserer Basis los, unterwegs stießen noch weitere Überlebende zu uns hinzu, sodass wir bald eine große Gruppe aus 40 oder 50 Menschen waren. Plötzlich hörten wir eine Stimme, sahen ein Licht und gingen darauf zu. Ein Funkgerät, eine Kinderstimme die daraus kam. Sie schrie nach Hilfe. Dichter Nebel stieg auf, mitten im Wald. Und plötzlich kamen sie, umringten uns. Dutzende Zombies, Crawler, Mutanten. Untote, die nur aus Gier nach unserem Fleisch getrieben wurden. Ich hielt Noahs Hand, in der anderen meine Axt. Bereit alles zu geben, damit sie überlebt. Überall Schreie, Blut. Sie kamen näher. Die Monster, die mal wie wir waren. Menschen.
Gebissen oder natürlich gestorben, man weiß es nicht. Es spielt aber auch keine Rolle. Wir alle haben es in uns. Wir alle können zu diesen Kreaturen werden. Noah musste da raus. Wir mussten da raus. Unsere Gruppe wurde kleiner, immer mehr verfielen den Zombies als Opfer. Wir rannten nur noch davon. Zwischen Überlebenden, die gerade zu Boden gerissen wurden, die kämpften, die selber flüchteten. Wir rannten. Eine Hauswand war in Sicht, ein wenig Sicherheit im Rücken. So dachte ich. Als ich mich umdrehte, sah ich gerade noch die Axt des Henkers ausholen. Der Henker, ein Untoter, ein Monster, das viel stärker als alles ist. Weitere Gefährten wurden verletzt.
Wir rannten weiter. Durch die Wälder. Ich ließ Noah kurz los, spannte meine Armbrust, dann verlor ich sie aus den Augen. Ich schrie nach ihr, die Zombies kamen näher. Dann war sie wieder da, sie hatte sich im Busch versteckt. Und von der Gruppe stießen 6 Männer auf uns, mit denen wir zusammen flüchteten. Und wieder rannten wir, stießen auf kleine Gruppe Überlebender, die uns einen Schluck zu trinken gaben und wo wir kurz Rast machen konnten. Wir wollten jedoch nur zurück zu unserer Basis. Nach Stunden kamen wir auch an und fielen dort allen in die Arme. Ich brachte Noah ins Bett und wartete bis sie einschlief, dann setzte ich mich zurück zu der Wache. Ich konnte nicht schlafen, machte mir zu viele Vorwürfe. Wie konnte ich so leichtsinnig sein? Erst als es hell wurde, legte ich mich in meinen Schlafsack und fand ein paar Stunden Ruhe.
Am Nächsten Morgen war die Stimmung bedrückt.
8 Männer aus unserer Basis haben die Nacht nicht überstanden. Also wollte ich Noah aufheitern. Ich hatte schon länger geplant gehabt, mit ihr Geburtstag zu feiern, das hatte sie seit Ausbruch des Infekts nicht mehr erlebt. Also sammelte ich in den letzten Wochen Spielzeug und Süßigkeiten. Wir hatten sogar dank der Bundeswehr einen Kuchen mit Kerzen. Die Überraschung gelang. Sie spielte Karten, malte mit Kreide an die Wände, wir sangen Lieder zusammen. Es hätte ein guter Tag werden können. Doch ab da kam nur noch die Dunkelheit über uns.
Das Versprechen des Wiedersehens mit Lina wurde gehalten, aber anders als beide es sich vorgestellt haben. Als Noah Lina als wandelnde Tote sah, musste ich sie aufhalten, um nicht zu ihr zu rennen. Als man Lina dann erlöste, hat Noah sehr um ihre Freundin geweint. Am Ende gab es eine Beerdigung für Lina. Noah sprach rührende Worte und spielte eine Abschiedsmelodie auf einer Spieluhr. Sie weinte und weinte und hörte nicht mehr auf. Ich ließ ihr von unserem Wissenschaftler ein Beruhigungsmittel spritzen und bekam ein paar Tabletten für sie mit, die ihr helfen würden damit besser umzugehen. Ich fühlte mich so hilflos. Jetzt musste ich dieses kleine Geschöpf unter Drogen setzen, damit sie mit dieser Welt klar kam. Ich hatte die ganze Zeit versucht ihr ein Stück Kindheit zu bewahren, sie abzuschirmen so gut es ging.
Ich hatte versagt.
Es war keine Zeit darüber nachzudenken, die Entscheidung anzuzweifeln, denn wir mussten uns auf eine große Mission vorbereiten. Ein Bunker sollte gesäubert werden, der Antwort auf ein Gegenmittel enthalten sollte. Alle Überlebenden aus der Umgebung sammelten sich an diesem Bunker. Obwohl wir viel medizinisches Material dabei hatten, konnten wir kaum jemanden versorgen, geschweige denn helfen. Die Panik, die Masse an Zombies und Mutanten war zu groß. Und als die Türen des Bunkers geöffnet wurden, kamen noch mehr Kreaturen ans Tageslicht. Wir sahen unsere Freunde fallen, Noah schrie und weinte. Ich packte sie, riss sie von einem Zombie weg der sie schnappen wollte und rannte mit ihr los. Wieder rannten wir und ließen jeden zurück. Unsere Freunde, die wie unsere Familie war, wurden bestialisch abgeschlachtet. Wir rannten bis wir nicht mehr konnten, versteckten uns, rannten wieder. Irgendwann waren wir bei unserer Basis. Wir fanden sie leer vor. Wir warteten die ganze Nacht, sprachen kein Wort. Im Morgengrauen war uns bewusst, dass wir nun alleine waren.
Wir packten zusammen was wir fanden und gingen los ins Unbekannte…
Jetzt fragst du dich bestimmt, warum du diese Geschichte gelesen hast. Nun, sie ist mir wirklich passiert. Ich erlebe viele solcher Geschichten im LARP. LARP, also „live action role playing“ (zu deutsch: Liverollenspiel), ist eben ein Rollenspiel, welches nicht nur im Kopf, sondern in der Realität stattfindet.
Falls ihr euch darunter nichts vorstellen könnt, seht es wie ein großes Improvisationstheater. Der Spieler verkörpert dabei eine Rolle („Charakter“), indem er sich seiner Spielfigur entsprechend schminkt, kleidet, verhält und mit den anderen Spielern auf der Veranstaltung („Con“) interagiert. Auf einem bestimmten Gelände bietet ein Veranstalter („Orga“) den Teilnehmern die Möglichkeit, meist selbst erfundene Charaktere auszuspielen und auszuleben. Der Veranstalter sorgt für einen „lebendigen“ Hintergrund und Plots (d.h. Abenteuer, die erlebt werden können). Eigentlich geht es bei diesem Hobby nur um eines: Spaß! Im Unterschied zum Theater bekommen die Spieler Ihre Handlungen nicht vorgegeben, sondern sie sind in ihren Entscheidungen frei.
Es gibt verschiedene Larp-Genres wie z.B. Fantasy, Science-Fiction, Western, Horror, Endzeit.
Meine Geschichte spielte sich auf der Con „Zombieapokalypse IX Remember Tomorrow“ ab. Das Setting ist, wie man schon aus dem Namen heraus lesen kann: Zombies! In heutigen Zeiten dank Serien wie „The Walking Dead“ oder Filmen wie „Shaun of the Dead“ ein sehr beliebtes Genre. Für weiter Infos zur der Veranstaltung selbst, LARP im Allgemeinen und weiteren Fotos, einfach die Links anklicken!
Sehr cool 🙂