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Großstadtgärtner*innen

Ein kleiner Hinterhof im Westen Leipzigs. Etwa zehn Leute sitzen an einem großen Holztisch, wie jeden Dienstag. Die Stimmung ist familiär. „Also, was machen wir zum Saisonabschluss nächsten Samstag?“, fragt Claudia, eine tatkräftige, fröhliche junge Frau mit blonden Locken in die Runde. „Also ich will ja Karaoke im Gewächshaus machen“ verkündet Georg mit einem verschmitzten Lächeln. Es wird diskutiert, Ideen werden mit Kreide auf einer Tafel gesammelt. Es sind Menschen von jung bis alt, die meisten in den späten 20ern. Sie alle verbindet die Freude am Gärtnern, an Gemeinschaft, etwas Schaffen. Und gutem Essen. Gleich gibt es Kartoffelpuffer mit Apfelmus, dazu Holundersaft. Alles Marke Eigenanbau. Denn ich befinde mich nicht in irgendeinem Hinterhof, sondern in einer wahren Hinterhofoase. Ich bin im Gemeinschaftsgarten Annalinde.

Jeden Dienstag ist Arbeitstag in der Annalinde. Danach wird gemeinsam in der Annalinde gekocht, aus dem, was der Garten gerade zu bieten hat.

Dieser wurde 2011 von engagierten Gärtnern aus einer Brachfläche in der Zschocherschen Straße 12 geschaffen. Die Pflanzen werden in  mobilen Hochbeeten aus recycelten Bäckerkisten oder Palettenboxen angebaut. Nach ökologischen Maßstäben und ohne chemische Düngemittel, versteht sich.

Der Annalinde-Garten ist als Gemeinschaftsgarten Teil einer Bewegung, die sich in den letzten Jahren sehr verbreitet und große mediale Aufmerksamkeit erfahren hat: dem urbanen Gartenbau oder auch Urban Gardening. Meist sind es junge Gärtner*innen, die aus vernachlässigten Flächen  vielseitig bewachsene und jedem offen stehende Orte schaffen, die ein stärkeres Bewusstsein für Lebensmittel, biologischen Vielfalt, nachhaltigen Konsum, und eine zukunftsfähige Nachbarschafts- und Stadtentwicklung zu schaffen.

Dieses neue Bewusstsein brauchen wir in einer Zeit, in der wir mit Problemen wie dem Klimawandel, der schleichende Privatisierung, Mangel an Grün- und Freiflächen und  Artenarmut konfrontiert werden.

„Also vor ungefähr 5 Jahren sind ziemlich viele Gärten entstanden, da gab es so einen Pioniergeist. Jetzt gibt es die meisten ja schon ein paar Jahre. Ich bin gespannt, wie sich das weiterentwickelt; was die neue Vision wird. Der Wunsch von vielen ist es, weg von der Zwischennutzung in die Verstädterung zu gehen und ich frage mich, was dann passiert. Werden  die Gärten dann etabliert? Verlieren sie ihren Charakter? Ist es vielleicht auch das was wir wollen, dass wir ganz normaler Teil eines Viertels werden? Werden wir dann noch die Rolle von etwas neuem haben?“

grübelt Claudia auf meine Frage nach der Entwicklung der urbanen Gärten hin. Zwei bis drei Mal pro Woche ist sie hier, wenn Sie nicht gerade als Physiotherapeutin arbeitet. Der Garten macht neben der Musik einen großen Teil ihrer Freizeit aus.

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Claudia Trinschek

Währenddessen brutzelt es schon vielversprechend auf dem Gaskocher. Der lange Tisch ist gedeckt, Vorfreude macht sich breit. „Tja, das Öl und Mehl ist gekauft, aber wir können ja nächstes Jahr mehr Sojabohnen und auch Getreide anbauen und das dann auch selbst machen“, scherzt Georg. Nach meiner Schicht am Herd geselle ich mich zu den anderen. Das Gartenmenü schmeckt köstlich. Als die Bäuche gefüllt und die Teller leer sind, verabschiede ich mich.

Trotz des Regens schaffen es am Samstag ein paar Besucher in den Garten. Selbst gezimmerte Tische und Stühle laden zum verweilen ein. Der Kälte wird mithilfe von Gemüsesuppe, Grog und Feuer getrotzt. Der harte Kern singt am Abend „Light my fire“ und „It´s raining man“ im Pavillion, eine Rübe wird kurzerhand zum Mikrofon umfunktioniert. Doch irgendwann treibt es auch die Letzten zurück in die warme Wohnung.

Nun begibt sich der Garten in den Winterschlaf, aus dem er nächsten Frühling wieder erwachen wird. Doch davor gibt es noch allerhand zu tun, wie zum Beispiel Kürbisse und Sojabohnen ernten und verarbeiten und die nicht winterfesten Pflanzen wie Zitronenverbene, Loorbeer und Agave im Gewächshaus der zur Annalinde gehörenden Gärtnerei einquartieren. Wer Zeit und Lust hat kommt vorbei und packt mit an. Denn davon lebt der nicht kommerzielle Gemeinschaftsgarten. Dass jeder sich einbringen, etwas beitragen und auch etwas mitnehmen kann. Ich habe ein kleines bisschen von dem positiven Schaffensgeist mit nach Hause genommen. Und einen Zweig Pfefferminze für eine große Kanne Tee.

Sojabohnen

Sojabohnen

Fotos: Linda-Marie Theet

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