Für Jeden ist ein Kraut gewachsen
Wer an Kräuterheilkunde denkt, der denkt zumeist an Hexen und an brodelnde Kessel, in denen sie ihre Zaubertränke brauen und dabei mystische Formeln murmeln. Aber Kräuterheilkunde ist wesentlich mehr als das und viel moderner als mancher glauben mag. Die Phytotherapie, wie die Pflanzen- und Kräuterheilkunde auch genannt wird, beschäftigt sich mit der Behandlung von Krankheiten und Beschwerden durch Pflanzen oder Pflanzenteile und deren Zubereitung. Kräuter und andere heilbringende Pflanzen werden seit Anbeginn der Menschheit genutzt. Das Wissen stammt somit aus einer Zeit, in der es noch keine Medikamente im heutigen Maßstab gab und die Menschen von dem lebten, was sie selbst anbauten oder in der Natur vorfanden. Auch die heutige Pharmaindustrie macht sich dieses Wissen zunutze und so werden Wirkstoffe aus Pflanzen gewonnen bzw. chemisch nachgeahmt. Zum Beispiel wird der Wirkstoff Morphin, der schmerzstillend wirkt, seit zirka 200 Jahren aus der Milch des Schlafmohns gewonnen und in das bekannte Medikament Morphium eingebracht. Ungeachtet dieser Fortschritte, greifen immer mehr Menschen auf alternative Methoden zurück. Dies ist zum einem wichtig, um den Fortbestand des Wissens zu sichern und zum anderem, weil die Kräuterheilkunde dem modernen Menschen wieder mehr Eigenkontrolle in Sachen Gesundheitsprävention bzw. -wiederherstellung gibt. Kräuter und Pflanzen können die Selbstheilungskräfte unseres Körpers unterstützen. Aber Vorsicht, auch hier gibt es Grenzen und sie sind kein Ersatz für einen Arztbesuch, wenn ernsthafte gesundheitliche Probleme vorliegen.
Eine, die sich dem Vermitteln des Wissens verschrieben hat, ist die Kräuterpädagogin Claudia van Zütphen. Claudia wohnt mit ihrem Lebensgefährten am Niederrhein und kam über viele berufliche Umwege zu ihrer jetzigen wahren Berufung. Und dass auch moderne „Kräuterhexen“ Socialmedia nutzen, beweist sie unter anderem auf ihren Blog „Kessel und Kerze“ und auf ihrem Instagramprofil. Dort postet sie regelmäßig von ihren Erfahrungen und teilt ihre Rezepte. Man kann sie für Workshops, Vorträge und Führungen buchen. Ich bat Claudia einen Teil Ihres Wissens mit uns zu teilen und so verabredeten wir uns zu einem Telefonat und E-Mail-Chat.
Hallo Claudia, vielen Dank für Deine Zeit. Wie geht es Dir?
Danke, es geht mir sehr gut. Ich hatte heute Gelegenheit, einige Kräuter wie Beifuß und Schafgarbe zu sammeln, die jetzt die größte Kraft entfalten und genieße gerade einen köstlichen Tee daraus.
Worin besteht Deine Aufgabe als Kräuterpädagogin?
Als Kräuterpädagogin besteht meine Aufgabe darin, die Verbindung des Menschen mit der Natur und der alten Magie des Landes wieder in Einklang zu bringen. Je nach persönlicher Vorliebe spezialisieren sich dabei viele Pädagogen auf die Themenbereiche, die ihnen besonders liegen. Für mich war die Ausbildung ein Einstieg in die Selbstständigkeit, aber mit Bestehen der Prüfung ist die Reise noch lange nicht zu ende. Ich interessiere mich sehr für die Mythologie hinter den Pflanzen, die auch die Erinnerung ganzer Kulturen in sich trägt. Ich biete zum Beispiel neben reinen Kräuterführungen für Küche und Hausapotheke auch regelmäßig Mythologieführungen an, in denen ich je nach Jahreszeit auf die alten Überlieferungen rund um Kräuter und Bäume eingehe.
Ein weiterer großer Bereich in der Kräuterkunde ist für mich die Signaturenlehre, die Zeichensprache der Natur, sowie die Verbindung von Astrologie und Kräuterkunde, wie sie von Paracelsus, Culpeper und Nettesheim praktiziert wurde.
Wie kommt man zu einer Ausbildung als Kräuterpädagogin?
Die Ausbildung zur Kräuterpädagogin wird von der Gundermann-Naturerlebnisschule bundesweit an unterschiedlichen Standorten angeboten und schließt nach erfolgreicher Prüfung mit einem Zertifikat ab. Die Ausbildung befasst sich sowohl mit der Traditionellen Kräuterkunde als auch mit der Ethnobotanik, den traditionellen, nicht kultivierten Nahrungs-und Heilpflanzen, deren Vorkommen und Verwendung, sowie der Ökologie der heimischen Pflanzenwelt.
Seit wann beschäftigst Du dich mit den Themen Kräuter- und Pflanzenheilkunde?
Ich habe mich schon immer für die Themen Natur, Mythologie und alternative Heilmethoden interessiert. Ausschlaggebend für eine besonders intensive Beschäftigung mit dem Thema Kräuterheilkunde war wohl der Wunsch nach mehr Unabhängigkeit für, meine eigene gesundheitliche Versorgung und eine ganzheitlichere Herangehensweise an das Thema Gesundheit. Dazu kam noch der Wunsch nach einer selbständigen, beruflichen Tätigkeit, in der ich alles einbringen kann, was mir am Herzen liegt.
Gab es bereits in Deiner Familie Interesse daran und Wissen, dass Du vermittelt bekommen hast?
Nein, so gut wie gar nicht, ich schlage ganz aus der Art. Meine Familie ist offen für alles, aber eine tiefer gehende Beschäftigung mit den genannten Themen gab es bei uns selten. Ich erinnere mich aber immer wieder gerne an einen Ausflug mit meiner Oma, wo sie uns Enkeln weißmachte, dass sie den Zauberspruch kennt, der eine Brennnessel dazu bringt, dass sie nicht mehr brennt. Sie hatte sie heimlich gegen eine Taubnessel getauscht und es dauerte lange, bis wir erfuhren, dass es sich um gänzlich verschiedene Pflanzen handelt.
Wie hast Du angefangen, das Wissen in Deinen Alltag zu integrieren?
Ich habe mir als erstes ein Pflanzenbestimmungsbuch zugelegt und so viele Pflanzen wie möglich gesammelt. Diese habe ich zu Tees, Salben, Cremes, Tinkturen, Räucherwerk und vielem mehr verarbeitet und zur Vorbeugung, sowie unterstützend für den Genesungsprozess, eingesetzt. Nach und nach kam die Erfahrung, was funktioniert und was nicht, welches Kraut in welcher Form die besten Ergebnisse bringt, wann der beste Zeitpunkt zum Sammeln und ansetzen ist (und wie schnell man ihn verpassen kann und wieder ein Jahr warten muss) und wie wichtig letzten Endes die eigene, praktische Erfahrung ist. Kräuter sind aus meinem privaten und beruflichen Alltag nicht mehr wegzudenken und ich habe gelernt, dass ein Kraut zu einem Menschen passen muss und weniger zu einem reinen Symptom. Damit meine ich, dass Kräuterkunde nicht da endet, wo anstelle einer Kopfschmerztablette ein Weidenrindentee getrunken wird. Eine ganzheitliche Kräuterkunde bietet viele wunderbare Möglichkeiten, ein Kraut zu ermitteln, welches dem Individuum bestmöglich zu helfen vermag.
Was sind Möglichkeiten und Grenzen bei der Heilung mit Kräuter und Pflanzen?
Kräuterpädagogen üben keine Heilkunde aus und können allenfalls Menschen darin unterstützen, selbst die für sich passenden Kräuter zu ermitteln. Heilkräuter sind keineswegs harmlos und schwach – sie sollten stets respektvoll genutzt werden. Richtig angewandt, helfen sie uns dabei, selbstverantwortlich mit der Gesundheit unseres Körpers und unserer Seele umzugehen. Die Dosis macht das Gift, das ist ein alter Leitsatz. Man kann theoretisch jede Substanz überdosieren. Mir persönlich ist das noch nicht passiert. Was mir aber passiert ist, war, dass ich ein Kraut für einen bestimmten Bereich genutzt habe und später feststellen konnte, in welche anderen Bereiche es zusätzlich hineinwirkte.
Was bedeutet Kräuterheilkunde heute, im Gegensatz zu früher?
Ich denke, früher waren die Menschen weniger auf die reinen Wirkstoffe in den Pflanzen fixiert, sondern sahen in Pflanzen noch beseelte Geschöpfe, die auf mehreren Ebenen zu heilen vermochten. Wenn heute Wissenschaftler in die entlegensten Ecken der Erde geschickt werden, um neue Wundermittel aufzuspüren, die anschließend in Labors in ihre Bestandteile zerlegt werden, vergessen die meisten, dass vor Ort, wo diese Kräuter zur Heilung genutzt werden, noch immer ein Ritual die Anwendung begleitet. Die reinen „Wirkstoffe“, sprich das, was nachweislich unter wissenschaftlichen Bedingungen für den heilenden Effekt einer Substanz ermittelt und benannt werden kann, macht aber nicht das sichtbar, was Paracelsus als das Licht der Natur beschrieben hat. Für die Kräuterkundigen von heute sehe ich die wichtigste Aufgabe und zugleich größte Herausforderung im Bewahren traditioneller Kräuterheilkunde, als auch in der Verbindung alter und neuer Erkenntnisse, um das Beste aus beiden Welten zusammen zu bringen.
Warum denkst Du, ist das Wissen und die Verwendung dessen, heutzutage ein sensibles Thema?
Ich denke, dass jede neue Kultur und jede neue Religion zuerst die Überreste der alten zerstört. Wir leben im Informationszeitalter und genießen zumindest in der westlichen Welt den Vorteil, uns Wissen zu erschließen, welches relativ frei zugänglich ist. Dem Vertrauen der breiten Bevölkerung in die Heilkräuter stehen aber zusätzlich Kräfte entgegen, die über geeignete finanzielle Mittel verfügen, die Meinungsbildung in eine bestimmte Richtung zu lenken. Ich kann nachvollziehen, dass Verbraucher geschützt werden sollen, und bestimmte Regulierungen durchaus ihre Berechtigung haben, allerdings fehlt mir noch das Gegengewicht, das den Menschen ins Zentrum setzt und nicht nur den reinen Profit. Aber es gibt einen Trend in Richtung alternative Heilverfahren und ich hoffe, dass aus diesem Trend eine Lebenseinstellung werden kann, die den Menschen wieder als einen Teil des großen Ganzen integriert. Jede Jahreszeit hat ihre Pflanzen, ihren Reiz. Pflanzen erzählen Geschichten, die älter sind als die Menschheit. Wir müssen nur wieder lernen, zuzuhören.
Wie sieht Dein Alltag mit Kräutern aus?
Ich nutze Kräuter täglich in allen möglichen Formen. Für meine eigenen Kräuterpräparate sammle ich gern nach astrologischen Gesichtspunkten, d.h. zum Beispiel zur passenden Planetenstunde oder Konstellation. Es ist erstaunlich, wie viel kräftiger ein Mittel wirkt, welches nach diesen alten Überlieferungen hergestellt wurde. Die Alchemie liegt mir ebenfalls am Herzen – ihren pflanzlichen Teilbereich nennt man Spagyrik und wenn ich nicht gerade selbst etwas aus Kräutern herstelle, lerne ich über sie – ganz sicher eine lebenslange Aufgabe.
Das klingt nach einem erheblichen Zeitaufwand und Zeitdruck. Hast Du einen Kalender, damit Du weißt was Du wann ernten musst?
Ich nutze einen handlichen Taschenkalender mit astrologischen Daten. Ein gewisser Zeitaufwand ist natürlich da, aber wenn man etwas gerne tut, dann nimmt man das in Kauf und genießt es sogar. Zeitdruck und Kräuterkunde passen schlecht zusammen – es geht vielmehr darum, zu schauen, wie weit die Natur ist und sich wieder in die natürlichen Rhythmen einzustimmen. Wenn ich die Blüte des Holunders in einem bestimmten Jahr verpasst habe, dann verzichte ich entweder oder ich muss auf Kräuter aus dem Handel zurückgreifen.
Was für eine zusätzliche Rolle spielt die Ernährung, wenn man mit Kräuter und andere Heilpflanzen arbeitet?
Ernährung spielt eine große Rolle. Viele Pflanzen aus konventionellem Anbau stammen von ausgelaugten Böden oder Monokulturen, die anfällig für Krankheiten sind und Menschen nicht mehr ausreichend versorgen können. Wildkräuter kann man wunderbar in die Ernährung einbauen, da sie oftmals wichtige Nährstoffe enthalten. Man sagt nicht umsonst „Unkraut vergeht nicht.“ Kräuter und Gewürze sprechen alle Sinne an und verraten oft schon durch ihren Geschmack, was in ihnen steckt. Unser Geschmackssinn ist ein wichtiges Werkzeug für die Ermittlung eines passenden Krautes und die alten Griechen haben uns die Lehre von den Qualitäten in den Pflanzen überliefert. Grob gesagt werden hier Pflanzen in warm, kalt, trocken und feucht eingeteilt. Es geht nicht um eine mit dem Thermometer messbare Temperatur, sondern um das empfinden, welches der Genuss eines Krautes in uns auslöst. Aussprüche wie „mir läuft das Wasser im Munde zusammen“ oder „sauer macht lustig“ zielen in diese Richtung. Pflanzliche Inhaltsstoffe wie ätherische Öle, Bitterstoffe oder Gerbstoffe bewirken körperliche Reaktionen und teilen sich meist schon durch den Geschmack mit. Ein Ingwertee wird ganz andere Empfindungen auslösen, als ein Pfefferminztee, eine Gurke ganz andere, als eine Chili.
Die erheblichen Umweltprobleme lassen sich heutzutage nicht mehr leugnen. Denkst Du, dass die Kräuter und Pflanzen durch diese Belastungen an ihrer Wirkungsweise eingebüßt haben?
Die Wildkräuter vergleichsweise weniger, es sei denn, sie werden neben Straßen oder überdüngten Feldern gesammelt, wovon in jedem Fall abzuraten ist.
Wie sieht für Dich eine mögliche zukünftige Lebenswelt aus?
Ich sehe gute Ansätze in der Permakultur und Entwicklungen im Bereich Umweltbildung in Kindergärten und Schule. Menschen sind am ehesten zu Veränderungen bereit, wenn diese mit einem positiven Grundton vorgestellt werden. Ich halte mich an das Motto „Practice what you preach“ und versuche, selbst so zu leben, wie ich es mir für die Welt wünsche. Was man liebt, das schützt man auch, aber zuvor muss man es richtig kennen lernen.
Hast Du ein Lieblingskraut bzw. welches ist das Kraut, was zu Dir passt und Dich wiederspiegelt?
Das ist wie die Frage nach dem Lieblingskind. Aber ich habe natürlich Favoriten. Einer dieser Favoriten ist das Johanniskraut, welches um die Mittsommerzeit, also im Juni, seine gelben Blüten öffnet. Johanniskraut erinnert mit seinen Blüten an kleine Satelliten, zerdrückt man die Blüten zwischen den Fingern, tritt roter Pflanzensaft, das sogenannte Hypericin aus, welches ein wunderbares Rotöl ergibt. Johanniskraut ist den meisten als mildes Mittel für die Nerven und leichtes Antidepressivum bekannt, doch es kann so viel mehr! Von der äußeren Anwendung als Wundöl bis zu seiner Wirkung auf die Verdauung und die Hormone ist dieses Kraut unheimlich vielseitig. Die Volksheilkunde schätzt darüber hinaus die Wirkung auf das Herz, denn es trägt Sonnensignaturen. In der Astromedizin wird das Herz der Sonne zugeordnet und ein gesundes Herz vermag den Körper zu erwärmen. Wärme ist also gleichgesetzt mit Lebenskraft – in anderen Heiltraditionen wie dem Ayurveda oder der traditionellen, chinesischen Medizin, kennt man den Begriff des Chi oder des Lebensfeuers.
Johanniskraut gehörte außerdem zu den Wetterkräutern und wurde bei Gewitter ins Herdfeuer gestreut, um vor Blitzeinschlag zu schützen. Sein volkstümlicher Name Teufelsbann lässt uns erahnen, dass man damit auch Dämonen auszutreiben versuchte. Es ist eines der Kräuter, welches den Wandel von heidnischen Traditionen zu den christlichen durchlebt hat (die Germanen sahen im roten Pflanzensaft das Blut des Gottes Baldur, während die Christen es mit den Wunden Jesu in Verbindung brachten).
Liebe Claudia, vielen Dank für das interessante Gespräch!
Obwohl Kräuter bei der Genesung unterstützend wirken, ersetzen sie keinen Arztbesuch, daher rät Claudia nochmal mit Nachdruck, dass bei gesundheitlichen Problemen immer zuerst der Arzt oder der Heilpraktiker aufzusuchen ist und warnt davor, dass Pflanzen auch toxisch wirken können.
Auf ihrer Internetseite Kessel und Kerze findet man empfehlenswerte Literaturratschläge zum Weiterlesen.
An Ende unseres Interviews verrät mir Claudia noch, dass man Kräuterpädagogen an ihren Gang erkennt, bei denen der Blick immer nach unten gerichtet ist. Und sollte sie deshalb mal ein „Hexenschuss“ plagen, so bin ich mir sicher, lässt sich auch hier das passende Kraut finden.
Ein paar Tipp`s zum Schluss:
Wer einmal selber etwas ausprobieren möchte, der kann sich aus der Apotheke Melisse Tee holen. Dieser wirkt bei Prüfungsstress, indem er die Nerven beruhigt, den Geist belebt und der Konzentration hilft, ohne dass man dadurch ermüdet.
Und wer jetzt Interesse bekommen hat und gerne selber einmal an einer Kräuterführung in Halle (Saale) und Umgebung teilnehmen möchte, der findet Veranstaltungstermine bei der Kräuterfrau Ines Sandner in Halle.
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