Merseburger Elend Teil II
Ein Kommentar von Christian Worzfeld
Bekanntlich hat in Deutschland spätestens in den 1990iger Jahren eine sogenannte erinnerungspolitische Wende eingesetzt. Zumindest im bürgerlichen Mainstream sind die Zeiten vorbei, in denen die nationalsozialistischen Verbrechen verdrängt, verschwiegen oder gar, wie noch bei Ernst Nolte 1986, als verständliche „Überschwangsreaktion“ auf den Stalinismus gedeutet wurden. (https://de.wikipedia.org/wiki/Historikerstreit)
Vielmehr geriert sich das wiedervereinigte Deutschland heutzutage, analog zum „Exportweltmeister“, als „Aufarbeitungsweltmeister“ der eigenen Geschichte. (Deutschland, das Land, das nicht nur die größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte begangen hat, sondern auch das Land, dass sie am besten, mit deutscher Gründlichkeit quasi, aufarbeitet.
Die Bigotterie und der Zynismus, mit dem selbst die grauenhafte deutsche Vergangenheit noch als Standortvorteil in Stellung gebracht werden soll, während die Bundesregierung gleichzeitig jegliche Reparationszahlungen und Entschädigungen, die über billige Lippenbekenntnisse hinausgehen, konsequent verweigert, kann hier nicht weiter ausgeführt werden. Das würde den Rahmen sprengen.
Für den Merseburger Kontext soll lediglich eine Facette aufgegriffen werden. Im Zuge der „Wiedergutwerdung der Deutschen“ (Eike Geisel, https://lizaswelt.net/2007/08/06/in-memoriam- eike-geisel/), kam es nicht nur zum Bau von einigen Denkmälern, es wurden auch kosmetische Verschönerungen des Stadtbildes getätigt. Etliche Straßen und Plätze, die noch die Namen allzu arg NS-kompromittierter Personen trugen, wurden umbenannt.
Doch selbst ein solch folgenloser und rein symbolischer Kontinuitätsbruch hat auf dem Merseburger Campus nicht stattgefunden. Nein, hier hat man den entgegengesetzten Weg eingeschlagen und 2014 eine zentrale Straße auf dem Hochschulgelände nach einem Verfahrenstechniker benannt, der als williger Vollstrecker nationalsozialistischer Doktrin für die IG- Farben in Auschwitz (Monowitz) tätig war: Günther Adolphi.
Von 1961 bis 1967 war Adolphi Direktor und Professor am 1958 gegründeten Institut für Verfahrenstechnik der Technischen Hochschule für Chemie in Merseburg, weshalb ihn die Hochschule im Gespräch mit der Stadt überhaupt erst als Namensgeber ins Gespräch brachte. Ein renommierter Wissenschaftler und Ehrenprofessor, der der Hochschule durch seine Leistungen einen Namen gemacht hatte – wer könnte besser als Namensgeber fungieren, mag man sich gedacht haben.
Peinlich nur, dass der Historiker Georg Wagner-Kyora bereits 2009 in seinem Werk „Vom nationalen zum sozialistischen Selbst“ auf Adolphis braune Vergangenheit hingewiesen hatte. Im Gespräch mit der Mitteldeutschen Zeitung unterstellt er der Hochschulleitung „einen instrumentellen Willen, eine Vergangenheitspolitik zugunsten der Täter zu betreiben, was Geschichtsfälschung gleichkommt. Über die Akte Adolphi hätte man stolpern müssen“ (Mitteldeutsche Zeitung, http://www.mz-web.de/1359982 ©2017).
Die Reaktionen blieben allerdings eher verhalten. Zwar verurteilte das Auschwitz-Komitee die Namensgebung scharf und auch die Mitteldeutsche Zeitung berichtete einige Male. Eine bundesweite Skandalisierung blieb allerdings aus. Dennoch sah sich die Hochschule zu einer halbherzigen Distanzierung genötigt und kündigte an, die Causa Adolphi von einem „unabhängigen Experten“ überprüfen zu lassen. Die Wahl fiel dabei auf Stefan Hördler, Leiter der Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Dessen Gutachten, welches eigentlich schon letztes Jahr erscheinen sollte, liegt wohl mittlerweile vor. Möglicherweise wird es im beginnenden Wintersemester endlich zu einer Veröffentlichung kommen.
Doch kommen wir noch einmal auf die Reaktion der Hochschule zurück. Aus der selbstgeschaffenen Not eine Tugend machend, initiierte der Dozent Alfred Frey 2016 gleich ein Seminar und schickte seine TeilnehmerInnen wie die Trüffelschweine auf Jagd nach Adolphis brauner Vergangenheit in die diversen Archive der Region. Am 10. Februar 2016 gab es dann sogar eine Präsentation der Ergebnisse mit dem bezeichnenden Titel „Ehre wem Ehre gebührt“, vor diversen Honoratioren der Stadt (Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=WQImXvtDysA).
Fazit des Ganzen: Adolphi habe als Wissenschaftler Großes geleistet, aber seine nationalsozialistische Betätigung würde sein Wirken überschatten, daher sei man eher geneigt, eine Empfehlung zur Umbenennung der Straße abzugeben. Salomonischer kam es nur noch dem Rektor der Hochschule Jörg Kirbs über die Lippen, den außer das Ansehen der Hochschule auch eine mögliche Rufschädigung Adolphis umtrieb: „Es ist eine schwierige Entscheidung, da der Bewertung der Person keine juristische, aber eine moralische Schuld zugrunde gelegt werden kann, Interpretationen und keine eindeutigen Fakten vorliegen und die Gefahr besteht, Adolphi zu zerreißen.“(http://www.merseburg.de/de/suchergebnisseite/strassenbenennung-guenther-adolphi-20011382.html)
Als echter deutscher Wissenschaftler wünscht sich Herr Kirbs offensichtlich eine übersichtlichere Faktenlage. Hat sich Adolphi persönlich schuldig gemacht? Ist ihm ein genaues Verbrechen nachzuweisen? Hat er eigenhändig Juden ins Gas befördert, wenn ja wie viele, an welchem Tag, zu welcher Uhrzeit? Nur dann, so schwingt es zwischen den Zeilen mit, sei er einer Ehrung nicht würdig, andernfalls sei er in Auschwitz lediglich seiner Arbeit als Verfahrenstechniker nachgekommen.
In dieser Sichtweise offenbart sich das ganze Elend des bürgerlichen Rechtspositivismus. Auschwitz und das, wofür es steht, sind mit dessen Instrumentarium weder zu begreifen, noch juristisch aufzuarbeiten.
Was aber war Auschwitz? Auf der stofflich-konkreten Ebene ein gigantischer Industriebetrieb, eine nach den neuesten technischen und organisatorischen Verfahrensweisen geschaffene fordistische Fabrik. Es wurden ja auch durchaus Waren für die Kriegsfront produziert, unter anderem durch die fleißige Mithilfe von Günther Adolphi, aber das war nie der eigentliche Zweck dieser Einrichtung. Eine kapitalistische Fabrik dient dazu, Waren herzustellen, die anschließend gewinnbringend auf dem Markt verkauft werden. Sie muss also Mehrwert produzieren. Das aber hat Auschwitz nie getan. Auschwitz hat sich für die Nazis in finanzieller Hinsicht nie „gerechnet“, noch dazu wurden in den letzten Kriegsjahren, als die Rote Armee unaufhaltsam weiter vorrückte, wichtige Ressourcen und Züge von der Front abgezogen um den Betrieb in Auschwitz weiter aufrechterhalten zu können. Auschwitz wurde eben nur organisiert und betrieben wie eine Fabrik, aber statt Produkten vom Band wurden Menschen auf möglichst effiziente Weise in den Tod befördert. Ich möchte zur weiteren Illustration dieses Gedankengangs den Historiker Moshe Postone zitieren:
„Eine kapitalistische Fabrik ist ein Ort, an dem Wert produziert wird, der ‚unglücklicherweise‘ die Form der Produktion von Gütern annehmen muß. Das Konkrete wird als der notwendige Träger des Abstrakten produziert. Die Ausrottungslager waren demgegenüber keine entsetzliche Version einer solchen Fabrik, sondern müssen eher als ihre groteske arische ‚antikapitalistische‘ Negation gesehen werden. Auschwitz war eine Fabrik zur ‚Vernichtung des Werts‘, das heißt zur Vernichtung der Personifizierung des Abstrakten. Sie hatte die Organisation eines teuflischen industriellen Prozesses mit dem Ziel, das Konkrete vom Abstrakten zu ‚befreien‘. Der erste Schritt dazu war die Entmenschlichung, das heißt die ‚Maske‘ der Menschlichkeit wegzureißen und die Juden als das zu zeigen, was ‚sie wirklich sind‘, Schatten, Ziffern, Abstraktionen. Der zweite Schritt war dann, diese Abstraktheit auszurotten, sie in Rauch zu verwandeln, jedoch auch zu versuchen, die letzten Reste des konkreten gegenständlichen „Gebrauchswerts“ abzuschöpfen: Kleider, Gold, Haare, Seife. Auschwitz, nicht die „Machtergreifung“ 1933, war die wirkliche ‚Deutsche Revolution‘ – die wirkliche Schein-‚Umwälzung‘ der bestehenden Gesellschaftsformation. Diese Tat sollte die Welt vor der Tyrannei des Abstrakten bewahren. Damit jedoch ‚befreiten‘ die Nazis sich selbst aus der Menschheit.“
(Moishe Postone, http://www.krisis.org/1979/nationalsozialismus-und-antisemitismus/).
Postone spricht in diesem Zusammenhang von der „Negativen Fabrik Auschwitz“.
Dort wurden Menschen wie Geschmeiß, wie Ungeziefer vernichtet. Entmenschlichende Originaltermini, wie sie sich auch heute keineswegs zufällig im Vokabular der Neuen Rechten, etwa bei Lutz Bachmann, wiederfinden.
Dass Günther Adolphi keine direkte Ermordung von Juden nachgewiesen werden kann, ist völlig unerheblich. Er arbeitete für die IG Farben, jene Firma also, die das Zyklon B für die Gaskammern lieferte, und war in dem zentralen Vernichtungslager der Nazis aktiv. Dem Lager, das noch heute wie kein zweites exemplarisch für den ungeheuren Vernichtungswahn der nationalsozialistischen Diktatur steht. Er war nicht auf Befehl dort, ihm hätten keinerlei Sanktionen gedroht, falls er sich gegen die Arbeit in Auschwitz entschieden hätte. Er war ein williger Gehilfe der nazistischen Barbarei.
Adolphi war eines der Rädchen, das die die Vernichtungsmaschinerie bis zum Schluss am Laufen hielten. Wer ihn deswegen von jeder Verantwortung freisprechen möchte, da er nie persönlich, quasi mit den eigenen Händen, jemanden umgebracht hätte, müsste dementsprechend auch Adolph Eichman von jeder persönlichen Schuld freisprechen.
Auch ihm ist kein persönliches Verbrechen zur Last zu Legen. Er hat keine Zwangsarbeiter erschossen, Kriegsgefangenen verprügelt oder Juden mit vorgehaltenem Gewehrlauf in die Gaskammern gezwungen. Es kann noch nicht einmal behauptet werden, dass er verbal oder körperlich ausfällig gegenüber den Deportierten gewesen wäre. Er hat, analog zu Adolphi, lediglich sein instrumentelles Wissen in den Dienst des Nationalsozialismus gestellt. Adolphis im Bereich Verfahrenstechnik, Eichmanns im Bereich Logistik. Und in diesem Bereich hat Letzterer zweifellos Großes geleitet, wie er auch nicht müde wurde vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal zu betonen.( vgl.https://www.youtube.com/watch?v=yvCCFpr2e-A)
Wenn es also im Jahr 2017 noch opportun ist, eine Straße nach einem in Auschwitz tätigen Menschen zu benennen, so möchte ich vorschlagen, einen etwas prominenteren zu nehmen. In diesem Sinne: Erheben wir das Glas und trinken auf die baldige Einweihung der Adolph-Eichmann- Straße auf dem Campus der Hochschule Merseburg!
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