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Alles nur nicht Mainstream-Porno

Pornos gehören schon längst nicht mehr in die Schmuddelecke von Videotheken, sondern sind im Mainstream angekommen. Doch auch in Pornos werden bestimmte „ideale“ Körperbilder reproduziert. Woher kommen diese Körperbilder und wie können sie dekonstruiert werden?

Ein Text von Sinah Willmann, Kathrin Schubert, Nanda Bröckling und Maria Skiba

Ein normaler Freitagnachmittag: Die Lohnarbeit ist abgehakt, die Abgabe der Hausarbeit noch in weiter Ferne, es regnet draußen und der Corona – Lockdown macht sowieso alles eher öde. Zeit für etwas Fun. Der Satisfyer ist aufgeladen, die Taschentücher stehen daneben, es kann also los gehen. Nachdem der Browser im privaten Modus geöffnet wurde – sicher ist sicher – nun steht der Befriedigung eigentlich nichts mehr im Weg…doch was ist das? Riesen-Brüste, kein Gramm Fett zu viel an den falschen Stellen, Geschlechtsteile sind glatt rasiert und die Oberarme des Mannes sind so groß wie ein Kleinkind. Man schaut an sich selber runter, sieht den Corona-Speck (der eigentlich scheiß-egal sein sollte aber…) und fühlt sich nur noch schlecht. Man ist mal wieder auf einen Mainstream – Porno reingefallen.

Der männliche Blick – The male Gaze

Woher kommt denn nun dieser fade Beigeschmack beim Sehen eines Mainstream Pornos? Ein Problem könnte sein, dass Pornos Klischées von Körperbildern abbilden, welche in unserer Gesellschaft vorherrschen. Die muskulösen Männer, Frauen mit extrem großen Brüsten, das „Idealbild“ einer Gesellschaft, in der man selbst meist nicht so richtig rein passt. „Geschlechtsstereotypen“. Die Darsteller*innen sind meistens schlank, norm-schön, tolles Make-up, tolle Haare, trainierter Body. Es sind meist Körperideale, die auch hinter der Kamera – im Real-Live gelten. Schlank, reine Haut, glatt rasiert. Doch warum ist das so?

Ein Grund könnte der so genannte „Male Gaze“ sein, also der männliche Blick auf die Welt, hier bezogen auf den Körpertyp einer Frau.

Der Begriff „Male Gaze“ kommt aus der Filmtheorie der 70er Jahre und stammt aus dem Aufsatz „Visual Pleasure and Narrative Cinema“ von Laura Mulvey1. Es geht darum, dass Männer hauptsächlich das cineastische Produkt „konsumieren“, während Frauen lediglich in den Filmen dargestellt werden, als Konsumentinnen irrelevant sind. Frauen sind also die Objekte, während er Mann das sehende Subjekt ist. Doch woran liegt das? Im Hinblick auf eine Studie zur Geschlechterforschung und Diversität2 (bei Serien welche in Deutschland produziert wurden) der Uni Rostock könnte hier repräsentativ auch auf Pornos angewendet werden:

Bei der Produktion sind 56% Männer beteiligt.

Hinter der Kamera stehen 90% Männer/Männerteams.

Drehbücher werden zu 61% von Männern/Männerteams geschrieben.

In 78% der Fälle führt ein Mann/ein Team von Männern Regie.

Die Diskrepanz ist bei Pornos wahrscheinlich noch größer. Leider konnte keine Studie zu Geschlechterforschung und Diversität in Pornos für diesen Artikel gefunden werden. Ein Grund für das Fehlen von Studien zu diesem Thema ist die Tabuisierung von Pornographie in der Gesellschaft.

Wenn also hauptsächlich Männer an der Produktion von (Porno-)Filmen, Serien usw. beteiligt sind, wie soll ein weiblicher, queerer, nicht binärer, nicht norm-schöner Blick auf die Filme passieren?

Das „Problem“ mit der Sexualität

Warum hauptsächlich Männer hinter der Kamera arbeiten ist ein Thema, welches den Rahmen dieses Blogpostes sprengen würde. Ein Problem, warum jedoch Pornos hauptsächlich für Cis-hetero Männer gemacht werden ist, dass nicht norm-schönen Frauen, Queers, Nicht-Binären, Fetten, BiPoCs und behinderten Menschen etc. die Sexualität abgesprochen wird. Menschen die in den Augen von Cis-Männern nicht begehrenswert sind müssen also in ihren Filmen gar nicht erst auftauchen. Oder diese Personen werden „Fetischisiert“: Für Menschen die nicht in den Mainstream passen werden neue Kategorien gebildet. Ein Blick auf Webseiten mit pornographischen Inhalten und ihre Kategorien lassen einen fast schwindelig werden: Hier treffen Rassismus und Sexismus unbehelligt aufeinander. Plötzlich ist schwarz-, fett-, behaart-, behindert-, (die Liste marginalisierter Personen lässt sich natürlich noch weiter führen) usw. eine Kategorie. Etwas anderes.

Und so kommen wir in einen Teufelskreis: Da nur ein minimaler Teil der Norm-Gesellschaft sich in den Filmen wiederfinden bekommt man das Gefühl in den Augen der Gesellschaft nicht begehrenswert zu sein. Die eigene Sexualität ist somit nicht vorhanden oder etwas Komisches, abartig. Porno-Konsument*innen fragen sich, ob mit einem selbst etwas nicht stimmt, ob man nicht schön oder gar abstoßend ist.

Es selbst in die Hand nehmen

Doch wer jetzt denkt, dass nur Unzufriedenheit ohne Lösungsansätze herrscht hat noch nicht Bekanntschaft mit den großartigen Produzent*innen und Darsteller*innen Abseits des Mainstream gemacht.

Ich konnte mich zu dem Thema mit Vani unterhalten. Vani ist queer, POC (Person of color) und hat selbst schon bei einem Amateur Porno mitgespielt. Mich stört, dass im Mainstream Porno manchmal das Gefühl vermittelt wird, es gäbe ausschließlich penetrativen Sex.“ Pornos wirken also meistens eher wie „wildes Gerammel ohne wirkliche Lust.

Auf meine Frage hin, welche Pornos Vani gerne sehen würde meinte Vani: „Mich würde es freuen zu sehen, dass Lust geben und nehmen nicht an das Geschlecht gekoppelt ist. Pornos in denen man tauscht und sich Zeit lässt wären toll.“ Also nicht die typischen Rollen des aktiven Mannes und der passiven Frau, sondern einfach mal die Rollen switschen, im Fluss ohne Zwang.

Eines der bekanntesten Beispiele für Produzent*innen abseits der üblichen Produktionen ist hier Erika Lust3. Sie brachte 2004 ihren ersten Porno heraus, als Gegenentwurf zu dem stereotypisierten Mainstream-Porno welcher die Lust von Frauen ignoriert. Heute ist Erika Lust eine Koryphäe in Sachen feministischen Porno. Mal mit Witz, mal mit leichtem BDSM Ansatz, oft queer und mit den unterschiedlichsten Körpertypen, und vor allem immer im Austausch mit den Protagonist*innen ihrer Filme.

Ein weiteres Beispiel ist Loree Erickson, promovierte Porno – Akademikerin und „Queercrip-Aktivistin“, welche 2019 mit dem PorYes-Award in Berlin für ihren Film „Want“ prämiert wurde. In einem Interview auf der Seite melmagazine.com4 sagte sie: Even in queer and feminist porn, I didn’t see bodies like mine(„Selbst in queeren und feministischen Pornos sehe ich keine Körper wie meinen“). Ihre Lösung dafür?: „Well, if I’m not seeing this representation, I’ll just have to make it myself.” („Wenn ich schon mich nicht repräsentiert sehe, mache ich es einfach selbst.“)

Beispiele wie Erika Lust, Loree Erickson und Vani gibt es zum Glück immer mehr. Viele Menschen nehmen heute die Porno – Produktion einfach selbst in die Hand, sei es durch Vertriebsseiten wie OnlyFans oder verschiedene Nischenplattformen die unabhängig der Großen agieren.

So kann Porno auch empowernd sein. Sei es für die Protagonist*innen aber auch die Konsument*innen, welche somit sich endlich repräsentiert und damit sich auch begehrenswert aufgezeigt sehen.

Idealbilder dekonstruieren

Was gilt es also jetzt zu tun? Wir werden das Patriarchat natürlich nicht von heute auf morgen stürzen. Und wahrscheinlich auch nicht mit Pornos. Aber wir können unser Konsumverhalten ändern.

Wir können uns entscheiden, welche Seiten wir besuchen wollen, um unsere Lust zu befriedigen. Auch können wir Indie – Porno – Produzent*innen ganz einfach unterstützen in dem wir über sie reden und somit ihre Messages verbreiten oder sie bei Möglichkeit finanziell unterstützen, sei es durch den Kauf ihrer Filme oder eine Mitgliedschaft auf den diversen Webseiten.

Zuletzt wollen wir euch zu diesem Thema noch die Doku „Weibliche Sexualität und Lust – Gibt es feministische Pornografie?“ von SRF Dok empfehlen. Hier geht es um die weibliche Sexualität und feministische Pornographie. Viel Spaß beim Anschauen!

Fotos von Sinah Willmann

 

1https://de.wikipedia.org/wiki/Visuelle_Lust_und_narratives_Kino

2 https://malisastiftung.org/wp-content/uploads/Studie_Geschlechterdarstellungen-und-Diversitaet-in-Streaming-und-SVOD-Angeboten-final.pdf

3 https://erikalust.com/

4 https://melmagazine.com/en-us/story/loree-erickson-queercrip-porn

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